Am Montag leitete Huub Stevens bei Hertha BSC Berlin das Training, als sei nichts geschehen. Am Abend will sich der Bundesliga-Tabellenletzte zur Zukunft des Niederländers, dessen Entlassung nach der 1:4-Heimpleite gegen Bayer Leverkusen noch unabwendbar schien, äußern. Präsidium, Aufsichtsrat und Manager Dieter Hoeneß hatten zuvor über eine mögliche Trennung von dem 49-Jährigen diskutiert.
Die Entlassung des früheren Schalker Erfolgscoaches scheint unabwendbar. Eine Tatsache, die vor allem Hoeneß schwer im Magen liegt. Der Manager muss nach neun Bundesliga-Spieltagen und dem letzten Tabellenplatz einsehen, dass der Trainer die hohen Erwartungen in der Hauptstadt nicht erfüllt und er selbst zu lange an die Wende mit Stevens geglaubt hatte.
"Ich traue der Mannschaft zu, dass sie aus dieser schwierigen Situation herauskommt", sagte der Niederländer zwar. Doch ein Konzept zur Genesung des Patienten hat Stevens zumindest öffentlich nicht preisgegeben. Und viel mehr als sein unbestrittener Eifer und seine von Hoeneß stets betonte Identifikation mit dem Klub waren nach einem Viertel der Saison beim besten Willen nicht zu erkennen.
Marcelinho als Sinnbild für Stevens Verzweiflung
Vor allem die Formationen im Mittelfeld und Abwehr wurden Woche für Woche durcheinandergewürfelt und ließen jegliche Souveränität und Sicherheit vermissen. Dass der gerade genesene Marcelinho überhaupt gegen Leverkusen (1:4) auflief, war Ausdruck für die Hilflosigkeit des 49-Jährigen, der offenbar mit der "taktischen Brechstange" die Wende herbeiführen wollte. Den Brasilianer zu bringen, war schon ein Verzweifelungsakt, weil ihm keine Alternativen mehr einfielen. Die Ankündigung nach Marcelinhos Verletzung am ersten Spieltag, die Verantwortung auf alle Schultern gleichmäßig zu verteilen, war schnell zur Farce geworden. Ein Fakt, den sich auch Manager Hoeneß ankreiden lassen musste.
Die Mannschaft war niemals auf den Ausfall ihres Herzstücks vorbereitet. Vor allem nicht gleich zu Saisonbeginn, als das Konstrukt der neuen Truppe mit ihren zugekauften Führungsspielern Fredi Bobic und Niko Kovac, die noch immer nicht in der nötigen Form integriert sind, noch auf ganz wackeligen Füßen stand. Marcelinhos Ausfall entpuppte sich als "worst case", den Hoeneß nicht auf der Rechnung hatte. Auch deswegen musste der Manager von seiner Treue zu Stevens erstmals abweichen und den Einfluss des Aufsichtsrats um Rupert Scholz sowie des Vorstandes um Bernd Schiphorst anerkennen.
Scholz: "Alles ist möglich"
Selbst nach dem Aus im UEFA-Pokal gegen Polens Vizemeister Groclin Grodzisk hatte Hoeneß im Alleingang Stevens den Rücken gestärkt, ohne Absprache mit anderen Gremien. Jetzt aber sah er ein, dass er sogar seine Stellung im Klub in Gefahr brächte, wenn er weiterhin seinen Willen gegen Aufsichtsrat und Vorstand durchboxen würde. Auch im eigenen Interesse verzichtete Hoeneß deshalb auf einen erneuten Alleingang. Zumal Rupert Scholz in Eigenregie der Öffentlichkeit erklärte, dass "alles möglich" sei.
Hoeneß stand tatsächlich stets in tiefer Überzeugung hinter Stevens. Auch deshalb ist die Suche nach einem Nachfolger wesentlich hektischer, weil zu lange nicht geplant. In Loyalität zum Niederländer verzichtete Hoeneß lange Zeit darauf, den Markt frühzeitig nach einem Nachfolger abzugrasen. Andernfalls wäre Stevens wohl schon seit Sonntag arbeitslos gewesen. Moralisch einwandfrei, aber nicht professionell.
Zudem spielte die Geldfrage bei Hertha eine größere Rolle, als man eingestand. Stevens dürfte bei seiner Entlassung eine Million Euro Abfindung kassieren. Geld, das Berlin eigentlich nicht hat. Und der als Nachfolger gehandelte Klaus Toppmöller gehört nicht zu den Kleinverdienern im Geschäft. Da schien das ins Gespräch gekommene Duo Michael Preetz/Andreas Thom durchaus als denkbare Alternative.