Den ungewöhnlichen Ehrenplatz für seine Silbertrophäe hatte Jamie Gittens schnell im Kopf. „Ins Wohnzimmer“ werde er den stilisierten Ball für den Mann des Spiels wohl stellen, sagte der Super-Joker, und er lachte: „Vielleicht neben meine PlayStation.“ Schließlich habe er sich als Kind auf der Konsole jene großen Fußball-Abende erträumt, die er nun auf dem Platz erleben darf: „Das war eine magische Nacht im Flutlicht.“
Wenn nichts mehr geht, kommt Jamie Gittens: Der pfeilschnelle Engländer entwickelt sich bei Borussia Dortmund zum Panzerknacker von der Bank. Beim Bundesliga-Start gegen Eintracht Frankfurt (2:0) hatte er ein zähes Spiel mit zwei Toren als Ersatz entschieden - so kam es auch in der Champions League beim FC Brügge.
Im bröckelnden Betonklotz Jan-Breydel-Stadion sah sich der BVB in einem Kampfspiel verfangen, bis Gittens in der 76. Minute von links in den Strafraum zog. Sein Schuss zur Führung wurde zweimal abgefälscht. „Ich komme auf den Platz, will Spaß haben und Einfluss nehmen“, berichtete er später auf dem Kunstrasen der Interview-Zone. Es war ihm gelungen, „ein sehr schönes Gefühl“.
Zehn Minuten später legte der 20-Jährige, der auf Wunsch seines Vaters nicht mehr Bynoe-Gittens genannt werden möchte, auf ähnliche Weise das 2:0 nach - er rannte Richtung Tribüne und rutschte auf den Knien ins Glück. Ganz wie früher auf der PlayStation. Auf der Ersatzbank hatte er sich ausgeguckt, wie es klappen könnte: „Ich habe gesehen, dass ein wenig Platz da ist, weil sie manchmal recht hoch standen.“
Und wenn Gittens „einmal auf den Geschmack gekommen ist, Tore zu schießen“, lobte Trainer Nuri Sahin, „dann wird er nicht mehr zu bremsen sein.“ Zudem ersparte der Youngster dem BVB lästige Fragen danach, warum der Finalist der Vorsaison das Spiel 75 Minuten lang nicht unter Kontrolle hatte. Die Leistung war schwach - das Ergebnis gut. „Man kann eben auch zum Ende des Spiels Tore schießen“, kommentierte Julian Brandt.
Den Abend rundete ab, dass Emre Can dem neuen Top-Stürmer Serhou Guirassy in der Nachspielzeit beim Elfmeter den Ball übergab und ihm somit ein erlösendes Premierentor schenkte. „Das war mega von Emre“, sagte Torhüter Gregor Kobel. Alles bestens also beim BVB? Erst einmal: ja. Aber die Prüfsteine kommen noch.
Auch für Jamie Gittens. Sich aus der Joker-Rolle nach und nach Richtung Stammelf zu arbeiten, wird sein Ziel für diese Saison. „Natürlich würde ich gerne starten, aber der Tag wird kommen, wenn ich mich weiter verbessere“, sagte er.
Seine zwei mal zwei Treffer, mehr als in der gesamten Vorsaison (3), haben jedenfalls schon Wellen in seine Heimat geschlagen. Die BBC stellte rasch ein Erklärstück online: In London geboren, in der Jugend bei Manchester City - wer ist der Kerl, den der BVB da nach Jadon Sancho und Jude Bellingham wieder ausgegraben hat?
Man wird wohl noch viel von ihm hören.