Ausgerechnet Anthony Modeste. Der aus Köln gekommene Mittelstürmer, der beim BVB bisher wie ein Fremdkörper gewirkt hatte, versetzte Borussia Dortmunds Fans in einen Freudentaumel. Nachdem der FC Bayern schon mit 2:0 geführt und der junge Youssoufo Moukoko auf Vorlage von Modeste den Anschlusstreffer erzielt hatte, köpfte der Routinier in der fünften Minute der Nachspielzeit zum 2:2 ein. Vor der Südtribüne. Spektakuläres Ende des Bundesliga-Topspiels. Dortmund und Bayern bleiben damit auf Augenhöhe, und an der Spitze bleibt es spannend.
Vor der Partie waren noch einige personelle Fragen offen. Die Antworten: Auf Dortmunder Seite kehrte Mats Hummels zurück in die Innenverteidigung, Niklas Süle rückte für den aus familiären Gründen verhinderten Thomas Meunier auf die rechte Abwehrseite; vorne gab Trainer Edin Terzic dem 17-jährigen Youssoufa Moukoko nach dessen zuletzt erfrischenden Auftritten den Vorzug vor dem Routinier Anthony Modeste. Bei den Bayern schaffte es Joshua Kimmich nach überstandener Corona-Infektion immerhin noch auf die Bank, der ebenfalls infizierte Thomas Müller fiel aus.
Die Anfangsphase war zerfahren. In den Zweikämpfen ging es intensiv zu, aber beide Teams fanden nicht den Weg zum Tor. Vor allem der letzte Pass, der für Torgefahr hätte sorgen können, kam hüben wie drüben nicht an.
Schiedsrichter Deniz Aytekin griff früh durch, schon in der zweiten Minute zückte er Gelb für den Münchener Marcel Sabitzer nach dessen Foul an Donyell Malen. Auch Bayern-Verteidiger Matthijs de Ligt sowie die Dortmunder Jude Bellingham und Emre Can sahen während der ersten Hälfte Gelb – allesamt für Fouls.
Überraschend war, dass auch die Bayern, wenn sie bei Kontern Tempo aufnahmen und die Dortmunder hätten in Verlegenheit bringen können, in der ersten halben Stunde nicht ins Kombinieren kamen. Auf der anderen Seite versuchte es Raphael Guerreiro mal mit einem strammen Schuss von der linken Strafraumkante. Aber Manuel Neuer stand richtig im kurzen Eck und parierte.
Einmal zeigten die Bayern dann, was sie auszeichnet. Bei diesem Angriff bekamen die Dortmunder keinen Zugriff – und schon rappelte es. Die 33. Minute: Sadio Mané kam über links, nahm mit der Hacke Jamal Musiala mit, und dessen Hereingabe kam bei Leon Goretzka im Rückraum an. Der guckte, schoss – und traf. Flach ins linke Eck, genau so gewollt. Perfekt.
Der BVB versuchte sofort zu antworten. Drei Minuten nach dem Gegentreffer steckte Julian Brandt den Ball durch auf Donyell Malen, der drehte sich und schoss: Manuel Neuer an.
Überhaupt: Den Dortmundern war das Bemühen nicht abzusprechen. Aber es fehlten bei allem Eifer zündende Ideen, es fehlte die Durchschlagskraft. Es ist halt kein Erling Haaland mehr da.
Direkt vor der Pause eine unglückliche Situation, als Bellinghams Schuh unbeabsichtigt im Gesicht von Alphonso Davies landete, der benommen vom Platz geführt wurde. Josip Stanisic ersetzte ihn zur zweiten Halbzeit. Zudem kam Joshua Kimmich für Marcel Sabitzer.
Und auch die Dortmunder wurden gezwungen, einen Wechsel vorzunehmen. Mats Hummels, der zuletzt krank gefehlt hatte, blieb wegen Kreislaufproblemen draußen. Marius Wolf war nun das rechte Glied in der Viererkette, Niklas Süle übernahm innen den Job von Mats Hummels.
Acht Minuten waren in Halbzeit zwei gespielt, da schlugen die Bayern zum zweiten Mal zu. Kurz vor der Strafraumgrenze fanden mehrere Dortmunder keinen Zugriff auf Leroy Sané, der aus zentraler Position trocken abzog – Torwart Alexander Meyer war noch am Ball, ließ ihn aber trotzdem passieren. 0:2, ein schwerer Wirkungstreffer für die Borussen, die bisher ja nicht den Eindruck gemacht hatten, als könnten sie an diesem Tag zurückschlagen.
Mit dieser Führung im Rücken wirkten die Bayern einfach reifer, abgeklärter, selbstbewusster – und damit überlegen. Sie ließen das Bällchen jetzt durch ihre Reihen laufen, während die Schwarz-Gelben eher verzweifelt versuchten, ein eigenes Angriffsspiel aufzuziehen. Es fehlten nun auch noch Mut und Überzeugung.
Trainer Edin Terzic aber hatte noch nicht aufgegeben, er hatte eine Idee: Er brachte einen neuen Stürmer, er versuchte es mit Anthony Modeste. Youssoufa Moukoko schaute rüber, weil er dachte, er müsste raus, doch es war Donyell Malen, der seinen Platz räumen musste. Der BVB probierte es nun mit einer Doppelspitze.
Und dieses Duo machte die Partie tatsächlich noch einmal spannend. In der 74. Minute spielte zuerst Moukoko auf Modeste, der dann mit einem Haken Dayot Upamecano schlecht aussehen ließ und dann Moukoko an der Strafraumgrenze anspielte. Der zog frech und willensstark ab: Der Anschlusstreffer, neue Hoffnung für den BVB.
Die Fans auf der Südtribüne erhöhten die Lautstärke. Und als Karim Adeyemi über die rechte Seite raste und flach nach innen passte, hatten sie den Torschrei schon auf den Lippen. Aber Anthony Modeste bekam den Ball nicht in den Griff und stolperte stattdessen selbst ins Tor. Eine Top-Chance.
War doch noch was drin für die Borussia? In der 90. Minute sah Kingsley Coman Gelb-Rot, und Stadionsprecher Norbert Dickel brüllte: „Vier Minuten Nachspielzeit!“ Auf den Tribünen saß niemand mehr, die Fans wollten den Ausgleich mit erzwingen. Torwart Alexander Meyer rannte nach vorne und blieb dort auch, die Bayern standen voll unter Druck.
Mit der letzten Möglichkeit flankte Nico Schlotterbeck hoch auf den zweiten Pfosten. Und dort kam Anthony Modeste angelaufen. Kopfball, Tor. Und kurz danach Abpfiff. Ein beeindruckendes Comeback des BVB in einem Spiel, das er schon verloren zu haben schien.