Huub Stevens scherzte kurz mit seinem Kollegen Lucien Favre, doch dann war Schluss mit lustig. Nachdem auch sein nicht ganz freiwilliger Torwartwechsel Schalke 04 nicht aus der Herbstkrise geführt hatte, schoss sich der Trainer der Königsblauen auf die eigenen Fans ein. "Wir wollten mehr Ruhe haben im Stadion", begründete Stevens nach dem 1:1 (0:0) gegen Borussia Mönchengladbach die Rückkehr von Timo Hildebrand ins Schalker Tor, "leider ist das nicht gelungen."
Der Wechsel vom 22-jährigen Lars Unnerstall, der zuletzt gepatzt und den Unmut der Zuschauer auf sich gezogen hatte, zum 33 Jahre alten Ex-Nationaltorwart brachte wenig. "Die Pfiffe gegen den Torhüter sind nicht mehr gekommen, dafür gab es jetzt Pfiffe gegen die ganze Mannschaft", befand Stevens. Auch sportlich half Hildebrand in seinem ersten Bundesligaspiel seit dem 26. August den Königsblauen nicht: Beim 0:1 durch Igor de Camargo aus spitzem Winkel machte er keine gute Figur (62.). "Was soll ich machen?", fragte der 33-Jährige: "Nach so einem Tor braucht man nicht anzufangen zu diskutieren." Immerhin rettete Jungstar Julian Draxler kurz vor Schluss noch einen Punkt (86.) - lediglich der fünfte von 18 möglichen in den letzten sechs Bundesligaspielen. "Wenn wir das Ding verlieren, brennt hier die Bude", mutmaßte der 19-Jährige.
Doch auch so herrscht beim Tabellenvierten dicke Luft. Stevens gab zu, mit dem Wechsel zwischen den Pfosten auf den Druck von außen reagiert zu haben: "Wenn ein junger Torhüter ausgepfiffen wird, musst du als Trainer auch mal nachdenken." Unnerstall habe "nicht so viele Fehler gemacht, aber wir mussten an die Mannschaft denken".
Heldt kritisiert ausbleibende Unterstützung
Die Aussagen des Trainers gegen die eigenen Fans sah Sportvorstand Horst Heldt mit gemischten Gefühlen. Zwar bemängelte auch er fehlende Unterstützung und wunderte sich über den länger als zwölf Minuten und zwölf Sekunden anhaltenden Boykott in der Nordkurve: "Man muss die Kräfte bündeln, wenn es nicht gut läuft." Allerdings versuchte Heldt auch, Stevens' Aussagen zu relativieren. "Er ist sehr emotional und stellt sich vor die Mannschaft und jeden Einzelnen", sagte er, "dann kämpft er und nimmt sich auch nicht zurück. Vielleicht sind seine Aussagen für viele nicht akzeptabel, aber so ist er, und so wird er auch immer bleiben." Er selbst, betonte der Sportvorstand, werde "als sportlich Ranghöchster in der Hierarchie die Ruhe ausstrahlen, die nötig ist".
Die Ruhe selbst war Stevens' Gegenüber Favre. Zwar sei er "ein bisschen enttäuscht, weil wir das Tor so spät bekommen haben", sagte der Schweizer. Doch dass der Ausgleich "klar verdient" war, stand für ihn außer Frage. Den Punktgewinn auf Schalke hatte der Gladbacher Trainer auch seinem Torhüter zu verdanken. Denn Marc-André ter Stegen, der zuletzt die eine oder andere Schwäche gezeigt hatte, machte die wenigen hochkarätigen Chancen der Schalker mit starken Paraden zunichte. "Er ist ein sehr, sehr junger Torwart. Die zweite Saison ist immer schwer", sagte Favre, "aber bis jetzt bin ich sehr, sehr zufrieden mit ihm. Er hat enormes Potenzial."
Das würden die Schalker über einen aus ihrem Trio, zu dem noch Ralf Fährmann gehört, auch gerne sagen. Denn wie sie es auch drehen und wenden: Nach dem Abgang von Manuel Neuer im Sommer 2011 ist die Lücke zwischen den Pfosten riesengroß. "Wir haben den weltbesten Torwart abgegeben", sagte Heldt und verwies auf die vergangene Saison: "Die Drei haben es geschafft, dass eine Torwart-Diskussion lange Zeit kein Thema war. Mit dem Weltklassetorhüter Neuer sind wir 14. geworden, mit den Dreien Dritter." Jetzt allerdings, musste Heldt zugeben, "haben wir eine Torwart-Diskussion".