Höchste Zeit also, den Fehlstart des BVB zu analysieren:
1 Erwartungshaltung Niemand kann behaupten, die Verantwortlichen hätten dieses Problem nicht kommen sehen. Immer wieder bemühte sich Hans-Joachim Watzke zu betonen, der BVB sei „kein normaler Titelverteidiger“, vor allem nicht automatisch ein Titelkandidat. Alleine, wahrhaben wollte das kaum jemand. Mit dieser Erwartungshaltung umzugehen, wird für die junge Elf des BVB zunehmend problematisch. Das Publikum verzeiht schwache Spiele nicht mehr ohne Weiteres, die Aufregung auf dem Boulevard wird größer und größer – und die Mannschaft hat offensichtlich Probleme, diesem Druck standzuhalten.
2 Chancenverwertung
Sie ist das offensichtlichste Problem des BVB. Zwar ließen die Schwarz-Gelben auch in der Vorsaison zahlreiche Chancen aus, doch erarbeiteten sie sich so viele Gelegengheiten, dass dies nicht weiter ins Gewicht fiel. Anders in den bisherigen Spielen: Bislang erspielte sich der BVB „nur“ die sechstmeisten Torchancen, in Sachen Effizienz rangiert die Klopp-Elf auf dem letzten Platz. Gerade einmal 20,6 Prozent ihrer Großchancen konnten Robert Lewandowski, Ivan Perisic und Co. verwerten.
3 Konzentration Besonders in Sachen Verhalten bei Standardsituation und Chancenverwertung spiegelt sich die mangelnde Konzentration wider. Und darin, dass der BVB vier von sechs Gegentreffern in der letzten Viertelstunde kassierte. „Wir müssen unsere Konsequenz bis zum Abpfi ff auf den Platz bringen“, sagt Jürgen Klopp. Genau das fehlte bislang, was auch Marcel Schmelzer in Hannover nicht verborgen blieb: „Vielleicht haben wir in der 86. Minute gedacht, in den verbleibenden vier Minuten passiert nichts mehr. Und dann haben einfach ein paar Prozent bei uns gefehlt.“
4 Gier / absoluter Wille „Wir haben uns nicht mehr wirklich dagegen gestemmt und zum Schluss gehofft, dass nichts mehr passiert“, sagte Schmelzer auch noch. Eine alarmierende Aussage, verdeutlich sie doch: Sogar die gemerkt, dass sie unterbewusst – nicht mehr ans Maximum geht, vielleicht etwas genügsam geworden ist. Dies zeigt auch die Zweikampfbilanz. Lediglich 48,37 Prozent gewonnener Duelle sind meilenweit von der Werten der Meistersaison entfernt und bedeuten in dieser Wertung einen Platz im unteren Mittelfeld der Liga.
5 Verletzungspech Obwohl der Kader der Borussia inzwischen deutlich mehr Tiefgang hat, konnte der Ausfall von Lucas Barrios nicht kompensiert werden, Robert Lewandowski fehlt noch (?) das absolute Killer-Gen. Während die Borussia im Vorjahr fast ohne Ausfälle durch die Saison kam, scheint sich die hohe physische Belastung nun auszuwirken: So fehlten unter anderem Marcel Schmelzer und Sven Bender, beide wichtige Korsettstangen im Spiel der Borussia, nicht nur über weite Strecken der Vorbereitung sondern auch in den letzten Wochen.
6 Anfälligkeit bei Standards „Was gar nicht geht, ist die Anfälligkeit bei Standards. Wir haben genügend lange Leute hinten drin“, schimpfte Jürgen Klopp nach der Niederlage in Hannover. Und tatsächlich: Von den sechs Gegentoren des BVB fielen vier (!) und somit 66,7 Prozent nach Freistößen oder Ecken. Gerade in diesen Situationen zeigt sich die mangelnde Konzentration, vielleicht auch eine gewisse Sorglosigkeit, nachdem im Vorjahr alles so spielend einfach gelang. [box_sonderheft_bvb] 7 Mangelnde Kreativität Bislang konnte die Borussia den Abgang Nuri Sahins noch nicht kompensieren. Er war das Herzstück und der Rhythmusgeber im Spiel der Schwarz-Gelben, er initiierte die meisten Angriffe, verband Defensive und Offensive und war mit seinen messerscharfen Pässen in die Tiefe der wichtigste Mann im Umschaltspiel des BVB. Seine Genialität fehlt der Klopp-Elf nun - vor allem, wenn auch noch Mario Götze ausfällt. Trotz seiner erst 19 Jahre hat dieser sich in den letzten Monaten zum herausragenden Spieler des BVB entwickelt. Er sorgt für die Überraschungsmomente, für die genialen Einfälle, er spielt nun die Abwehrriegel-knackenden Pässe. Zuletzt fehlte er zweimal, prompt setzte es zwei Niederlagen.
8 Auswärtsschwäche Der letzte Erfolg des BVB in der Fremde datiert vom 26. Februar, seitdem blieb die Borussia auswärts sieglos. Mittlerweile erwarten die meisten Gegner den BVB ausgesprochen tiefstehend, schnelles Umschalten alleine reicht nicht mehr.
9 Müdigkeit im Kopf „Fast ein Jahr lang ist durch die Adern der Dortmunder Spieler Adrenalin pur gerauscht. Auf einen solchen Rausch folgt bedauerlicherweise aber meist ein gewaltiger Kater im Kopf und in den Beinen“, hat Oliver Kahn unlängst formuliert. Das scheint die bisherigen Auftritte der Borussia recht gut zu beschreiben. Nur ist es nun höchste Zeit, sich von diesem Kater zu erholen.