Marcus Uhlig, wie ist Ihre Gemütslage vor so einer digitalen Jahreshauptversammlung? Wie bei so vielen Dingen in der letzten Zeit kommt mit einer digitalen Jahreshauptversammlung mal wieder etwas Neues auf uns alle zu, wo es noch keine Routine gibt. Wir haben im Winter mit unserer [article=513282]„JHV light“[/article] einen Mitgliederinfoabend in Form einer großen Video-Konferenz durchgeführt. Das ist reibungslos gelaufen. Aber eine echte JHV mit Abstimmungen und Wahlen ist dann doch noch einmal etwas anderes. Von daher sind wir sicherlich etwas angespannt. Aber gleichzeitig auch zuversichtlich, dass wir am Sonntag eine informative, ergiebige und harmonische Veranstaltung zusammen erleben werden.
Wie viele der über 6.000 RWE-Mitglieder werden denn zugeschaltet sein? Das können wir im Vorfeld nicht sagen. Jedes Mitglied hat die Möglichkeit, sich einzuschalten, natürlich auch spontan.
Haben Sie ein wenig Sorge um die Standhaftigkeit der Technik? Die Veranstaltung des FC Schalke 04 lässt grüßen... Wir haben natürlich verfolgt, dass es bei den Mitgliederversammlungen auf Schalke und bei Dynamo Dresden größere Probleme gab. So etwas kann niemand gebrauchen. Da rauscht dann eine wochenlange intensive Vorbereitung innerhalb weniger Minuten in den Mülleimer, alle sind verärgert und intern beginnt die Arbeit wieder von vorn. Diese Abhängigkeit von der Technik verursacht bei mir immer eine Grund-Nervosität. Wir haben das ja zu Beginn der Saison alle erlebt, als unser Heimspiel-Stream aufgrund technischer Probleme so seine Start-Schwierigkeiten hatte und damit – verständlicherweise – für große Verärgerung bei den Leuten gesorgt hat. Hoffen wir einfach das Beste für Sonntag, ich habe aber schon den Eindruck, dass sowohl wir als auch unser Dienstleister, der einen professionellen Eindruck macht, gut vorbereitet sind.
In den vergangenen Tagen wurde über die Namensrechte des Essener Stadions berichtet. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Wir haben mitbekommen, dass sich ein Unternehmen aktuell sehr für die Namensrechte am Stadion Essen interessiert, um diese für sich werblich zu nutzen. Seitdem wir das wissen, arbeiten wir mit Hochdruck an einer Alternativ-Idee, um eine ausschließlich kommerziell orientierte Umbenennung des Stadions zu verhindern, von der wir als RWE keinerlei Nutzen hätten. Die Gespräche mit der GVE sind sehr konstruktiv und geprägt von dem beiderseitigen Willen, eine Lösung zu finden, die für die Stadt Essen, für RWE als Verein sowie für alle Fans, Freunde und Partner optimal wäre. Es soll eine echte Essener Lösung werden.
Viele Fans träumen schon von einer Rückkehr zum Stadionamen: Georg-Melches-Stadion. Können Sie den RWE-Fans in dieser Hinsicht Hoffnung machen?
Die GVE, der Stadionbetreiber, ist gehalten, eine Regelung zu treffen, die für sie wirtschaftlich vertretbar ist. Das wissen wir. Im ersten Schritt also wird uns der Erwerb der Namensrechte zunächst einmal Geld kosten. Unsere Idee basiert auf dem Gedanken einer Schwarmfinanzierung. Einfach formuliert: wenn alle, die es gut meinen mit RWE, mithelfen und zusammenlegen, dann können wir alle gemeinsam dafür sorgen, dass dieses Stadion schon bald den Namen bekommen wird, der zu der Historie und der DNA der Hafenstraße am besten passt und den die Mehrheit der RWE-Familie auswählt. Mehr möchte ich jetzt noch nicht verraten. Fakt ist aber, dass wir die Chance bekommen werden, gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Einen ausschließlich kommerziell orientierten Stadionnamen zu verhindern und gleichzeitig durch das Zusammenspiel zwischen Stadt, Verein und ganz vielen Fans und Freunden des Vereins eine kreative und deutschlandweit so noch nie dagewesene nachhaltige Namensgebung hinzubekommen, die für alle Seiten nur Vorteile bringt.
Zehn Zugängen - inklusive des Eigengewächs Nils Kaiser und der Rückkehr von Erolind Krasniqi - stehen 15 Abgänge gegenüber. Wie bewertet der RWE-Boss diese große Fluktuation? Und: Warum war dieser Umbruch vonnöten?
Bis auf ganz wenige Ausnahmen ist das, was gerade bei uns auf der Ab- und Zugangsseite passiert, exakt das Resultat unserer Planung. Jörn Nowak und Christian Neidhart arbeiten mit Unterstützung unseres Chefscouts Stanko Patkovic und im regelmäßigen Austausch mit Waldemar Wrobel als sportliche Kompetenz im Aufsichtsrat seit Monaten mit Hochdruck an einem klaren Konzept, welches natürlich für alle Positionen immer auch Plan B, C, D und E vorsieht. Parameter unserer Kaderplanung waren und sind, die Spieler-Quantität zu reduzieren, noch mehr Tempo und mehr Positions-Variabilität zu bekommen und natürlich auch der U23-Spieler-Regelung gerecht zu werden, [article=524788]obwohl diese für die kommende Saison etwas entschärft wurde[/article]. Ich weiß, dass viele Fans gerade ein paar Fragezeichen haben aufgrund der hohen Zahl an Abgängen. Aber wir müssen immer das große Ganze betrachten und konsequent versuchen, die Ergebnisse unserer selbstkritischen Saisonanalyse möglichst 1:1 umzusetzen. Die Weiterentwicklung eines Kaders, einer Mannschaft ist ein Prozess, der eigentlich nie endet. Dazu gehört immer auch ein gewisser Umbruch, eine gewisse Fluktuation. Ich habe totales Vertrauen und bin zu 100% davon überzeugt, dass unsere Mannschaft, die wir gerade für die kommende Saison zusammenstellen, noch etwas stärker sein wird als die der letzten Saison. Sowohl fußballerisch als auch von der Mentalität her, die benötigt wird, um an der Hafenstraße Erfolg zu haben.
Welcher Zugang ist besonders spannend, welcher Abgang tut ein wenig weh?
Es ist ja kein Geheimnis, dass wir uns bei Kevin Grund und auch bei unserem Kapitän Marco Kehl-Gomez sicherlich einen Verbleib gewünscht hätten. Trotzdem haben beide für sich und ihren weiteren Weg eine Entscheidung getroffen, die völlig okay ist und die wir alle zu respektieren haben. Wir sind mit keinem Spieler im Groll auseinander gegangen. Bei den Neuzugängen werde ich jetzt öffentlich sicher niemanden herauspicken. Wir bekommen durch die Bank spannende Typen hinzu, mit sicherlich unterschiedlichen Stärken. Fakt ist, dass wir gerade auf der Zielgeraden der vielleicht akribischsten Kaderplanung sind, die ich begleite, seitdem ich bei RWE bin. Da ist über Monate der Hirnschmalz von vielen Beteiligen zusammengelaufen. Deshalb bin ich auch felsenfest davon überzeugt, dass wir alle zusammen viel Freude an der Mannschaft haben werden.
Haben Sie mittlerweile die Enttäuschung des Nicht-Aufstiegs verdaut oder schleppt man das Thema immer noch ein wenig mit sich? Jeder macht diese Enttäuschung anders mit sich aus. Es war für mich persönlich die bisher intensivste Saison, die ich mitgemacht habe, seitdem ich im Fußball arbeite. Das streift man emotional nicht einfach so ab. Tief in mir sitzt der Stachel immer noch. Auf der anderen Seite mussten wir professionell damit umgehen und schnell wieder funktionieren. Die Leistung in der letzten Saison war größtenteils herausragend, aber weil Fußball nun mal ein Ergebnissport ist, hat uns alle das reine Endresultat mit dem verpassten Aufstieg und der verpassten Titelverteidigung im Niederrheinpokal nicht zufriedengestellt. Ich persönlich versuche mich dadurch zu motivieren, in der nächsten Saison noch mehr und noch konsequenter für das große Ziel zu arbeiten.
Werden Sie vor der Saison erneut die Parole ausgeben, dass es nur ein klares Ziel gibt: den Aufstieg!? Mit dem Begriff „Parole ausgeben“ habe ich so meine Schwierigkeiten. Wir haben vor der letzten Saison den Aufstieg als Ziel formuliert – nicht mehr und nicht weniger! Das ist für mich im Leistungssport etwas völlig normales. Mich stört es kolossal, wie die Medien das dann zum Anlass genommen haben, um daraus gefühlt jede Woche eine neue Geschichte zu machen. Dann setzt ein schleichender Prozess ein und irgendwann entsteht draußen die Wahrnehmung, dass RWE vollmundig den Aufstieg versprochen habe. Dieses Spiel werden wir in der Form auch nicht mehr mitmachen. Wir arbeiten intensiv daran, dass wir am Ende der Saison 21/22 endlich den Sprung in die dritte Liga schaffen. Und genauso nehmen wir uns vor, am Saisonende den Niederrheinpokalsieg zu schaffen. Aber wir versprechen hier nicht vollmundig irgendetwas. Wir werden in der kommenden Saison einige Gegner in der Liga haben, die exakt die gleichen Ziele verfolgen wie wir. Wir arbeiten daran, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass wir diese Ziele erreichen können. Und dazu gehört auch, dass wir mit der bevorstehenden Rückkehr der Zuschauer in die Stadien gemeinsam mit unseren Fans eine positive Wucht an der Hafenstraße entfachen wollen. Jeder einzelne kann dabei helfen, unser großes Ziel zu erreichen, indem er geduldig und positiv bleibt. Wenn der Druck von allen Seiten – Fans, Umfeld, Medien - ab Sommer noch größer wird als er ohnehin schon ist, dann ist das nicht zielführend.