Beim Anblick von Neven Subotic kommt einem so manche Assoziation in den Kopf. Als Klosterschüler und Violinen-Spieler könnte er ebenso durchgehen wie als Rocker oder Rapper. Bekannt geworden ist er allerdings als Fußballer, auch nicht so abwegig. Wie dem auch sei, Subotic ist als Abwehrspieler in jedem Fall ein Typ, der sich zu wehren weiß. Diese These bestätigte er beim letzten Spiel des BVB gegen den VfB Stuttgart und deren Torwart-Rumpelstilzchen Jens Lehmann. Dass dieser in gewisser Weise eine gespaltene Persönlichkeit darstellt, ist schon seit längerem klar. Auf der einen Seite ist Lehmann als der fürsorgliche Familienvater bekannt, der stets ruhig und wohl überlegt spricht, Abitur hat und mehrere Jahre Volkswirtschaftslehre in Münster studierte. Ein Kind des Ruhrgebiets, geboren und aufgewachsen im Essener Stadtteil Heisingen.
Dann gibt es aber noch den Fußballer Lehmann, der als Schalke-Keeper einst ein Tor gegen den BVB köpfte, um dann einige Jahre später zu eben jenem zu wechseln. Lehmann kniff Ulf Kirsten in die Nase, gilt als Freund des gepflegten Tête-à-tête Konversation (vor allem mit Giovane Elber), der Oberschenkel von Soumaila Coulibaly durfte nebenbei mal Bekanntschaft mit Lehmanns Stollen machen, und dem Publikum zeigte er gerne mal den Stinkefinger – nicht zuletzt den Dortmundern. Gut, zumindest das schenkte er sich vergangenes Wochenende, dafür aber gab es eine neue Inszenierung des mittlerweile altbekannten Stücks "Jens macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt". In der Nebenrolle diesmal eben Dortmunds Abwehr-Ass Neven Subotic, die zweite Hauptrolle übernahm zur Verwunderung aller Helmut Fleischer. Als tollpatschiger Schlächter mit Trillerpfeife füllte er seinen Part sensationell gut aus und darf nach dieser Gala-Vorstellung sicherlich auf weitere Einladungen durch den DFB hoffen. Dazu später mehr.
Begonnen hat alles mal wieder mit dem Fußballer Lehmann in zerstörerischer Mission. Akt 1: Torwart haut Abwehrspieler mit dem Ellbogen in den Nacken. Akt 2 und eine Neuerung: Das Opfer des Torwarts wehrt sich mit gleichen Mitteln und erwischt ihn am Kiefer. Akt 3: Torwart fliegt wie von der Tarantel gestochen zu Boden und zeigt sich in großer Sorge um sein Zahngestell. Akt 4: Die Zuschauer haben ihr altes, neues Feindbild wiederentdeckt und schicken dem Keeper bis zum Schluss der Vorstellung bei jedem Ballkontakt einige nette Grußworte hinterher. Akt 5: im Anschluss an die Partie spricht Lehmann von großen Schmerzen, die ihm zugefügt wurden. Er hätte Angst um seine Zähne gehabt ("In 22 Jahren hat es noch keiner geschafft, mir den Kiefer zu brechen oder einen Zahn rauszuschlagen. Diesmal war es fast soweit.") und überhaupt sei es eine Frechheit, ihm selbst irgendwas zu unterstellen. Schließlich sei er das Opfer und niemand anders. Den schlagfertigen Konter gab es am Tag darauf von BVB-Geschäftsführer Hajo Watzke: "Dass die Zähne ein wenig lockerer werden, könnte mittlerweile auch am Alter liegen...". Die Bundesliga als Comedy-Bühne, herrlich.
Den Vogel abgeschossen hat diesmal aber Schiedsrichter Helmut Fleischer in seinem ganz persönlichen Schlussakt. Nach besagter Szene entschied der auf Freistoß für den VfB, "auf Verdacht", wie er nachher zugeben sollte. Diese entlarvende Ehrlichkeit ist für sich genommen schon einen Preis wert. Noch skurriler wurde das Ganze dadurch, dass der Pfiff des Schiedsrichters durch diese Aussage im Nachhinein nicht mal als Tatsachenentscheidung durchging und sowohl Subotic wie auch Lehmann nach Auswertung der Fernsehbilder eine Sperre befürchten mussten.
Gut, dazu ist es richtigerweise nun doch nicht gekommen. Wobei, über richtig oder falsch ließe sich trefflich streiten. Das Urteil spiegelt zumindest geltendes Recht wieder, denn Helmut Fleischer hat die Szene beurteilt und geahndet, ob nun auf Verdacht oder aus tiefstgläubiger Überzeugung, das sei dahingestellt. Somit ist es eine Tatsachenentscheidung und im Nachhinein nicht sanktionierbar, alles andere wäre in diesem Fall Willkür des DFB gewesen.
Dann gibt es aber noch die andere Seite, eine bereits oft geführte Debatte über eben jenes Primat der Tatsachenentscheidung. Fleischer gibt dieser Diskussion mit seinen Aussagen neuen Zündstoff. Auf Verdacht habe er also entschieden, so so. Wie sieht es denn bei glasklaren Schwalben aus, die der Schiedsrichter aus welchen Gründen auch immer nicht als solche identifizieren kann? Grobe Unsportlichkeiten also, die dem Fan jeden Spaß am Spiel nehmen. Entscheidet der Unparteiische in solchen Momenten logischerweise nicht auch auf Verdacht? Basieren in diesem Sinne nicht zig Entscheidungen pro Spiel auf Verdacht?
So offen wie Herr Fleischer hat es zumindest noch niemand zugegeben. Wenn auf dieser Grundlage nun sogar Strafen ausgesprochen würden, wäre das Geschrei groß. Aber auch so sollte man die geltendene Rechtsprechung nochmals überdenken. Damit Schwalbenkönigen, hinterlistigen Wichten oder halt unverbesserlichen Randalierern wie Lehmann endlich Einhalt geboten würde. Vielleicht hätte Fleischer dann nachträglich mit seiner unbeholfenen Ehrlichkeit ungewollt sogar etwas Gutes vollbracht!