Wer nicht gesehen hat, dass die „Kirsche“ drin war, der muss blind sein. "Phantom-Tor“ oder „Wembley an der Wedau“; was rauschten in den Tagen nach der Partie gegen die völlig überforderten Hessen bloß alles für Schlagzeilen durch den medialen Blätterwald. Doch gerade die Bezeichnung „Wembley-Tor“ trifft den vorliegenden Sachverhalt geradezu fahrlässig schlecht.
Keine 3D-Animationen nötig
Denn während die Fußballfans auf der Insel noch heute nicht völlig unberechtigter Weise an einen tatsächlichen Treffer ihres Goalgetters Geoff Hurst im WM-Finale von 1966 glauben dürfen, gilt dies für uns Anhänger der weiß-blauen Meidericher mitnichten. So konnten bislang selbst aufwändig produzierte 3D-Animationen die Frage, ob der Ball des britischen Angreifers seiner Zeit nun tatsächlich in vollem Umfang hinter der Torlinie war oder nicht, nicht endgültig aufklären.
Auch wenn ein Großteil der zusammengetragenen Erkenntnisse mittlerweile den Schluss zulässt, dass Sir Geoffrey Charles Hurst - so der vollständige Name des ehemaligen West Ham-Akteurs - zu unrecht jubeln durfte. Doch nun zurück zu Christian Tiffert. Aufwendige - wie auch immer konzipierte und durchgeführte - Untersuchungen im Fall des am Sonntag durch den ehemaligen Stuttgarter erzielten „Wembley-Tores“ dürfte es kaum geben. Zu eindeutig war der Schuss des Duisburger Mittelfeldakteurs nicht hinter der Linie.
Bezirksliga statt Profifußball
Dass der Linienrichter dennoch wie von der Tarantel gestochen, wild mit seinem Fähnlein wedelnd, in Richtung der Mittellinie durchstartete, ist mir unbegreiflich. Wer gedacht hatte, die Herren Helmer (94’ „Phantom-Tor“ gegen Nürnberg) und Ökland - 1981 hatte der Norweger in Diensten von Bayer Leverkusen im Match gegen den FC Bayern den Ball knapp über das Tor gejagt, woraufhin das Spielgerät von der Torstange hinterrücks durchs löchrige Netz gelangte und vom Spielleiter postwendend als Treffer anerkannt worden war - seien die ungekrönten Könige der Disziplin „Kein-Tor-Schießen“, der wurde am Wochenende eines besseren belehrt.
Wenigstens besteht bei „Torschütze“ Tiffert nicht die Gefahr, dass der Meidericher „10er“ irgendwann zum Ritter geschlagen wird. Wembley-Torschütze Hurst hatte da nicht so viel Glück. Seit 1998 trägt der dreifache Torschütze von Wembley den Ehrentitel „Sir“ im Namen. Schiedsrichterassistent Thomas Münch läuft dagegen noch weniger Gefahr irgendwann einmal geadelt zu werden. Mich würde es nicht wundern, wenn wir den „Zebra-Freund“ mit der eigenwilligen Wahrnehmung bald in der Bezirksliga wiedersehen.
Spielwiederholung?
Wer sich jetzt darüber wundert, dass ich die Fehlentscheidung, für die ich in erster Linie nicht den Referee der Begegnung verantwortlich mache, sondern den bereits erwähnten Assistenten, mit wenig wohlwollen betrachte, dem sei gesagt, dass in ähnlichen Fällen bereits Spiele wiederholt worden sind. So wie 1994 die Partie zwischen den Münchner Bayern und ihren fränkischen Nachbarn aus Nürnberg. Man stelle sich nun einmal ein ähnliches Prozedere im „Fall Tiffert“ vor - und das nach einer 4:0-Führung.
Zum Glück stellt sich die Frage einer Widerholung im aktuellen Beispiel jedoch nicht. Allerdings ist eine Neuansetzung der Begegnung nur deshalb nicht möglich, weil das Anzeigen eines Tores durch den Linienrichter, anders als 1994, mittlerweile im Regelbuch des DFB steht und somit kein Verstoß vorliegt. Bleibt zu hoffen, dass die Leiter des nächsten Duisburger Auftritts in Cottbus auch in weniger durchsichtigen Situationen den Durchblick behalten und es nicht bald den nächsten „Kein-Tor-König“ gibt.
Die Partie an der Wedau endete im Übrigen nicht, wie eingangs fälschlicher Weise behauptet, 4:0, sondern 5:0 für den MSV. Diese Notiz nur, damit alle Beteiligten den notwendigen Durchblick nicht verlieren.