Der Bundestrainer wollte das imposante 3:0 der Niederländer gegen Weltmeister Italien nicht als Maßstab für die Europameisterschaft nehmen. "Jetzt von einem Favoriten zu sprechen, ist undenkbar", meinte Löw am Dienstag im deutschen Trainingsquartier in Ascona und bezog dies auch auf die eigene Mannschaft: "Unsere Leistung gegen Polen war zufriedenstellend. Aber wir tun gut daran, nicht alles so hoch zu hängen. Es ist erst ein Spiel vorbei. Es wird alles ganz eng bleiben."
Eine "enge Kiste" erwartet der 48-Jährige deshalb auch am Donnerstag (18.00 Uhr/live im ZDF) im zweiten Gruppenspiel in Klagenfurt gegen Kroatien. Mit einem Sieg kann sich die deutsche Nationalmannschaft nach dem 2:0 zum Auftakt gegen Polen schon für das EM-Viertelfinale qualifizierten. Doch daran verschwendet Löw bei allem Optimismus, den er und die Spieler zur Schau stellen, keinen Gedanken: "Die Konzentration gilt nur dem Spiel. Alles andere wird man sehen." Man werde vor allem sehen, "wo wir stehen und welchen Leistungsstand wir haben", sagte Kapitän Michael Ballack: "Kroatien hat große Ziele, wir aber auch. Wir wollen ins Finale, da müssen wir uns aber steigern." Auf 80 bis 85 Prozent taxierte er dabei das Leistungsvermögen gegen die Polen.
Um von den Kroaten nicht überrascht zu werden, stand für Löw und sein Trainerteam am Dienstagnachmittag ein intensives Video-Studium des Gegners an. Am Mittwochmorgen wollte Löw dann die Spieler auf eine "raffinierte Mannschaft mit hervorragenden Individualisten einstimmen und einschwören". Gleichzeitig reduzierte der DFB-Coach das Trainingspensum, damit Ballack und Co. im Spiel wieder "agieren, unsere Linie durchziehen und Akzente setzen. Flexibilität, Ordnung, Laufbereitschaft und Tempo sind die Basis." Zudem wird in den Tagen von Ascona immer wieder der Teamgeist als Grundlage für den Erfolg genannt. Auch zwei Tage vor dem Duell gegen die Kroaten betonte Löw, "dass die Gruppendynamik erwähnenswert positiv ist. Die Mannschaft funktioniert und ist in sich intakt. Das ist von großer Wichtigkeit." Auch Ballack lobte einmal mehr die "sehr gute Atmosphäre. Es gibt im zwischenmenschlichen Bereich und von der Struktur her wenig Probleme." Die Zeiten des "Platzhirschdenkens" seien lange vorbei: "Jeder nimmt sich selbst nicht so wichtig." Dies ändert aber nichts daran, dass laut Löw "der Konkurrenzkampf funktioniert. Ich weiß, dass einige sich nicht mit ihrer Rolle auf der Bank zufrieden geben wollen. Sie drängen im Training vehement auf ihre Chance." In diesem Zusammenhang nannte er Thomas Hitzlsperger, vor allem aber Bastian Schweinsteiger. Der Münchner, gegen Polen zum Ersatzspieler degradiert, sei wieder "beweglich, agil und aktiv".
Gegen Kroatien droht Schweinsteiger aber zunächst erneut die Reservistenrolle. Löw sagte, dass es wohl wenig Wechsel geben würde, auch Ballack meinte bereits: "Wir haben im ersten Spiel eine gute Leistung gezeigt, es gab kaum Abfälle, wir waren sehr geschlossen. Deshalb gibt es für den Trainer wenig Gründe, etwas zu ändern."
Allerdings machte der Kapitän "Schweini" und Co. für den weiteren Turnierverlauf Hoffnung: "Das heißt natürlich nicht, dass diese Elf die ganze Zeit spielen müssen." Derzeit stehen Löw alle Spieler seines 23-köpfigen Kaders zur Verfügung, was ihn "besonders freut": "Ich weiß, dass wir sehr gute Alternativen haben." Vor allem im Spiel nach vorne sieht Ballack "sehr großes Potenzial. Im Sturm haben wir die wenigsten Probleme". Doch inzwischen befinde sich auch die vor dem Turnier kritisierte Abwehr um Christoph Metzelder und Per Mertesacker wieder auf "beeindruckendem Niveau", so Löw. Das Herzstück des deutschen Spiels ist aber weiterhin die Mittelfeldzentrale mit Ballack und Torsten Frings. Seit der WM 2006 habe sich das Zusammenspiel nicht verändert, erklärte Ballack: "Wir haben ganz, ganz große Verantwortung für unser Spiel und die Stabilität." Es sei jedoch nicht einfach, führte der 31-Jährige weiter aus, "es auf dieser Position jedem recht zu machen. Es wird erwartet, dass man offensiv Akzente setzt, aber gleichzeitig hat man große Verantwortung, dass kein Loch da ist."
Alle Gedanken im Kreis der DFB-Auswahl drehen sich um das achte Duell gegen Kroatien. Spekulationen, etwa um Stürmer Mario Gomez, seien angeblich "kein Thema", versicherte Löw: "Dies gibt es bei einem Turnier immer wieder. Das belastet unsere Vorbereitung überhaupt nicht." Auch Ballack sieht wegen der anhaltenden Gerüchte um Gomez keine Probleme: "Mario ist völlig entspannt. Er hat auch keinen Druck." Der 22-Jährige fühle sich beim VfB wohl und habe dort Vertrag, "deshalb besteht für ihn kein Handlungsbedarf".