Premierminister Boris Johnson denkt über einen zusätzlichen nationalen Feiertag nach, ganz England träumt von einem Ende der „55 years of hurt“. Doch die beste Mannschaft dieses Turniers hat etwas dagegen: Italien glaubt fest an eine finale „Notte Magica“ - im englischen Fußball-Tempel. Kein Zweifel: Das Endspiel England gegen Italien in Wembley hat das Zeug zum EM-Klassiker.
„Es wird ein episches Finale, und auf jeden Fall wird Geschichte geschrieben. Es ist der Traum eines jeden Kindes, das Fußball spielt“, sagte Mittelfeldspieler Marco Verratti euphorisch. Träumen dürfen auch die englischen Fans: Nicht nur vom ersten Titel seit 55 Jahren, sondern auch von kooperativen Arbeitgebern, die laut einer Empfehlung aus der Downing Street am Montag einen späteren Dienstbeginn erlauben könnten.
Die Freude auf das 25. Aufeinandertreffen beider Mannschaften am Sonntag (21.00 Uhr)/ZDF und MagentaTV) ist bei allen direkt oder indirekt Beteiligten immens. Englands Teammanager Gareth Southgate kann den Anpfiff im kaum noch erwarten: „Italien ist die größtmögliche Herausforderung, aber es ist wundervoll, immer noch diese Titelchance zu haben.“ Das letzte K.o.-Duell fand vor neun Jahre: Bei der EM-Endrunde 2012 gewann Italien mit 4:2 - im Elfmeterschießen.
Lange, viel zu lange verzehrt sich das Mutterland des Fußballs förmlich nach einem internationalen Titel. Der Final-Triumph bei der Heim-WM 1966 im alten Wembley-Stadion gegen die deutsche Nationalmannschaft (4:2 n.V.) liegt mehr als ein halbes Jahrhundert zurück, 55 schmerzhafte Jahre eben. Aber auch die Italiener warten seit 53 Jahren, seit 1968 auf ihren zweiten EM-Titel.
Seinerzeit stand Dino Zoff bei den „Azzurri“ zwischen den Pfosten, der mittlerweile 79-Jährige glaubt fest daran, dass das aktuelle Team den Pokal nach Italien holen wird. „Wir müssen keine Angst haben, wir können auch diesen letzten Schritt gehen. Die Resultate der Mannschaft sind beeindruckend“, sagte Zoff dem SID.
Schließlich hält der sportliche Höhenflug des Teams von Trainer Roberto Mancini nicht erst seit Turnierbeginn an. Der viermalige Weltmeister ist mittlerweile seit 33 Länderspielen ungeschlagen. Das macht auch dem früheren Wolfsburger Andrea Barzagli Mut: „Uns fehlt vielleicht ein Star, aber dank des Niveaus der einzelnen Spieler sind wir vielen Mannschaften überlegen.“
Aber auch die Erfolgsserie der Three Lions ist durchaus beeindruckend. Das Freistoßtor des Dänen Mikkel Damsgaard im Halbfinale (2:1 n.V.) war das erste Gegentor nach 691 Minuten. Vielleicht auch deshalb sind die Gastgeber auf dem Wettmarkt leichter Favorit: bwin zahlt 27 Euro für 10 auf einen England-Sieg, für einen italienischen Triumph gibt es 29 Euro für 10.
Dass seine Truppe eher Außenseiter ist, ist Mancini gar nicht so unrecht. „Wir können etwas Unglaubliches schaffen, aber wir haben noch nichts erreicht. Spanien hat uns vor große Probleme gestellt, das wird auch England tun“, sagte der frühere Nationalspieler.
Ob die 64.950 Fans, die Wembley im Halbfinale zu gut zwei Dritteln und weitgehend demaskiert füllten, aus pandemischer Sicht ein Problem darstellen werden, muss sich noch zeigen. Spekulationen über eine beim Endspiel mit 90.000 Menschen komplett gefüllte Arena erwiesen sich als haltlos.
Ein Regierungssprecher dementierte derlei Planungen. Immerhin: 1000 streng getestete Tifosi werden Einlass finden. Ein Privileg, das Gäste-Fans aus Kroatien, Tschechien, Deutschland und Dänemark auf Englands Weg ins Finale nicht zuteil wurde. sid