Joachim Löw trug Schlabberlook und wirkte ein bisschen unorganisiert. Doch nach einem freundlichen „Hallo“ hatte der Bundestrainer seine schwarze Aktentasche und den silbernen Rollkoffer schnell sortiert - und eilte in grauer Jogginghose und schwarzem DFB-Shirt durch einen Seiteneingang ins Teamhotel am Münchner Tucherpark.
Das kleine Problem bei der Ankunft sollte nicht täuschen: Löw und sein Team sind „richtig heiß“ auf den Kracher-Start in die EM gegen Weltmeister Frankreich, wie Kapitän Manuel Neuer in einer Videobotschaft an die Fans verkündete. „Gott, hab ich Bock auf dieses Spiel“, unterstrich Mats Hummels. Und Löw versprach der Fußball-Republik. „Wir sind uns der Bedeutung bewusst, dass wir für unsere Nation alles abrufen werden.“
Löw-Elf soll "durch die Hölle" gehen
Seine Stars und er würden am Dienstag (21.00 Uhr/ZDF und MagentaTV) notfalls „durch die Hölle“ gehen, versicherte der scheidende Bundestrainer vor seiner letzten Mission. 25 Jahre nach dem bislang letzten EM-Triumph in Wembley will sich Löw am 11. Juli in Englands Fußball-Kathedrale mit dem silbernen Pokal durchs große Tor verabschieden. Er will dafür „alles raushauen“. Das wird auch dringend nötig sein, wenn Frankreich in der „Todesgruppe“ F nicht nur für ihn der Anfang vom Ende sein soll. Droht nach dem WM-Desaster 2018 ein bitteres Deja-vu?
In den zweieinhalb Wochen der Vorbereitung in Seefeld und im Kuschel-„Campo“ von Herzogenaurach schärfte Löw die Sinne. „Alle wissen: Wir müssen sofort und zu jeder Zeit bereit sein“, betonte er. Sonst werde es schon gegen die „variabelste Mannschaft der Welt“ mit Wunderknabe Kylian Mbappe schiefgehen.
Die wichtigsten taktischen und personellen Fragen hat Löw, der auf Leon Goretzka und Jonas Hofmann verzichten muss, geklärt: Vor Neuer soll die Dreierkette um Rückkehrer Hummels den französischen Weltklasse-Sturm bändigen.
Für den Flankenschutz „opfert“ Löw seinen Lieblings-Sechser Joshua Kimmich, der nach rechts rückt. „Der Jo spielt da, wo es das Beste ist für die Mannschaft“, sagte er. Den letzten vakanten Platz im Sturm neben Anführer Thomas Müller erhält Kai Havertz - Leroy Sane bleibt nur die Jokerrolle.
Diese aber könne entscheidend sein, meinte Löw und beschwor den Teamgeist, der die Nationalelf 2014 auf den WM-Gipfel getragen hatte. Wie damals sein goldener Joker Mario Götze müssten alle „für die Sekunde X“ brennen.
Darauf hat sich das DFB-Team auch abseits des Platzes eingestimmt. „Wir haben eine viel bessere Atmosphäre als 2018“, sagte Hummels, er habe „viel mehr das Gefühl, dass alle an einem Strang ziehen.“ Der Dortmunder und „Radio“ Müller haben sich dabei eingebracht, „als wären sie nie weggewesen“, lobte Löw.
Bierhoff will Rekord-Siegprämie zahlen
Wehmut verspürt der Bundestrainer vor seinem letzten Hurra nicht, er fiebert dem Start „ungeduldig“ entgegen. Löw, versicherte sein langjähriger Wegbegleiter Oliver Bierhoff, sei „alles andere als eine lame duck“.
Auch die Mannschaft sei der riesigen Herausforderung gewachsen. „Wir haben eine hohe Qualität und wollen weit kommen. Es ist alles möglich“, behauptete Bierhoff. Die Rekord-Siegprämie von 400.000 Euro würde er „gerne zahlen“.
Tragen sollen die DFB-Elf die Fans - auch wenn es „nur“ 14.000 sein werden, darunter die Familien der Stars und Löws Nachfolger Hansi Flick. „Ihr wisst: Wir brauchen einfach eure Unterstützung“, rief ihnen Neuer zu. Für die Spieler, meinte Bierhoff, sei die Zuschauerrückkehr „wie Weihnachten“.
Geschenke sind von den Franzosen nicht zu erwarten. „Du darfst gegen sie keine Fehler machen, das nutzen sie gnadenlos aus“, sagte Löw. Doch Toni Kroos, der mit Ilkay Gündogan in der Mittelfeld-Zentrale gegen Paul Pogba und N'Golo Kante bestehen muss, hat „ein gutes Gefühl“. Frankreich möge der Turnierfavorit sein, aber: „Wir brauchen uns nicht zu verstecken.“
Tiefe Läufe und schnelle Abschlüsse sind ein Mittel. Ebenso gechippte Flanken aus den Halbräumen von Kimmich oder Robin Gosens, weil Frankreich traditionell das Zentrum abdichtet und deshalb Außen Platz ist. Konter müssen im Keim erstickt werden, Müller soll das Gegenpressing organisieren. „Wenn so ein Mbappe ins Rollen kommt, ist er schwer zu stoppen“, warnte Kroos.
Wie man das verhindert? „Wir müssen leidensfähig sein“, sagte Löw. sid