Sonntags ist es besonders schlimm. So schlimm, dass Mike Neumann manchmal sogar fast die Tränen kommen. Seit neun Jahren hat er nach dem Frühstück mit der Familie seine Sporttasche gepackt, ist mit dem Auto von seiner Wohnung in Schalke zum Stadion im Emscherbruch nach Resse gefahren und hat für die Viktoria gegen den Ball getreten. Nach dem Spiel hat er sich schon wieder auf das nächste gefreut.
Mike wäre durch keinen Neuzugang zu ersetzen gewesen.
Frank Conradi, Trainer bei Viktoria Resse
Seit dem 27. Juli dieses Jahres, es war ein Donnerstag, sind die Sonntage nicht mehr die, die sie waren. In der Schlussphase des Vorbereitungsspiels gegen Rot-Weiß Deuten hat sich der 32-Jährige schwer verletzt. Ohne Fremdeinwirkung. Die Diagnose: Kreuzbandriss. Bei der weiteren Untersuchung beim Radiologen wurde zudem ein schwerer Knorpelschaden festgestellt. „Man kann schon fast von einem Totalschaden im Knie sprechen“, sagt Mike Neumann. Vermutlich war das Kreuzband schon seit längerer Zeit instabil.
Aufstiege bis in die Westfalenliga
Ausgerechnet jetzt. Als Kapitän hat der Offensivspieler Viktoria Resse von der Bezirksliga bis in die Westfalenliga geführt. Vor vier Monaten stieg die große Aufstiegssause. Mit den bescheidenen Mitteln des Vereins ist das schon ein kleines Fußballwunder. Das Ziel in der vergangenen Saison war der Klassenerhalt in der Landesliga, es wurde der Aufstieg in die Westfalenliga.
Vor allem dank Mike Neumann. „Er ist der Kopf der Mannschaft und wäre auch durch keinen Neuzugang zu ersetzen gewesen“, sagt Trainer Frank Conradi. Der Unersetzbare hat im vergangenen Jahr nicht nur das Spiel gelenkt, sondern auch 20 Tore erzielt.
Operiert wurde Mike Neumann vor fünf Wochen von Dr. Noel Stais, der Orthopäde ist Mannschaftsarzt der Schalker Profis. „Ich habe großes Vertrauen zu ihm. Wir kennen uns schon lange, ich bin nicht zum ersten Mal bei ihm in Behandlung“, sagt der Resser. Zunächst wurde der Knorpelschaden operativ behandelt. In einer weiteren Operation, voraussichtlich im Oktober, wird Dr. Stais das Kreuzband dann flicken. Ob Mike Neumann jemals wieder für Viktoria Resse auflaufen wird, ist ungewiss. „Ich weiß nicht, ob die Belastung selbst bei einem guten Heilungsverlauf nicht zu groß ist“, sagt er. Unterklassig oder bei den Alten Herren zu spielen, sei keine Alternative. „Dazu bin ich zu ehrgeizig“, sagt Mike Neumann.
Auf Krücken leitet er zumindest zweimal pro Woche das Training der neugemeldeten Minikicker von Viktoria Resse - das Team, in dem sein Sohn Mika spielt. Der Vierjährige trägt auch die Rückennummer 9 – wie der Papa. „Das Training mit den Kleinen macht sogar auf Krücken Riesenspaß“, sagt Mike Neumann.
Weitaus weniger Spaß macht die Reha im heimischen Wohnzimmer. Fünf bis sechs Stunden pro Tag muss er sein operiertes Bein in eine Bewegungsmaschine legen, die es selbstständig führt. Sohnemann Mika erzählt, dass er seinem Papa sogar das Essen ins Wohnzimmer bringt. Immer wenn Mike Neumann hinter der Schiene sitzt, läuft auf dem Fernseher Fußball. Im Regal über dem Fernseher sind zahlreiche Pokale aufgereiht. In der Mitte einer mit der Aufschrift: „Hallenstadtmeisterschaft 2016 – wertvollster Spieler.“
Mit dem verletzten Bein aufzutreten, ist noch strengstens untersagt. „Hätte ich nicht die Unterstützung meiner Familie, wüsste ich gar nicht, wie ich den Alltag meistern sollte“, sagt Mike Neumann, der bei der Stadt Gelsenkirchen angestellt ist und im Ordnungsamt eingesetzt wird.
Als Zuschauer nach Hassel
Dass Viktoria Resse auch ohne ihren Kapitän den Klassenerhalt schaffen wird, daran hat Mike Neumann keinen Zweifel. Nach sechs Spieltagen steht die Viktoria mit fünf Punkten auf Rang zwölf. Am Sonntag wird seine Frau Sandra ihn nach Hassel fahren. Im Stadion Lüttinghof trifft die Viktoria im Derby auf YEG Hassel. „Ich freue mich auf die Spiele und unterstütze die Jungs, wo ich nur kann. Weh tut es mir trotzdem“, sagt Mike Neumann.