Habt ihr das Gefühl, dass die Akzeptanz für eure Gruppe im Stadion über die Jahre inzwischen gewachsen ist?
Ja, definitiv! Wir sind stolz, dass die Leute, die uns vor 10 Jahren noch aus Essen jagen wollten, mittlerweile Gäste auf unseren Feierlichkeiten sind. Klar eckt man mit etwas Neuem immer erstmal an, aber wir glauben, die Leute haben mittlerweile verstanden, dass wir uns als Teil des Ganzen und nicht als Mittelpunkt der Welt ansehen. Wir haben auch nie vorgehabt den „Alten“ ihren Rang abzulaufen oder jemandem unsere Meinung aufzuzwingen. Mittlerweile ist das alles recht entspannt. Selbst den Gruppen, mit denen man mal auf Konfrontationskurs war, läuft man mittlerweile ganz normal über den Weg, grüßt sich, oder hält mal einen Smalltalk und trinkt eventuell auch mal ein Bier zusammen.
Auch die Ultras Essen unterscheiden sich von anderen Ultra-Szenen. Ihr habt bereits in einem Vorgespräch angedeutet, dass ihr euch vor den Spielen zum Beispiele nicht vorher in der Kneipe zum „Vorglühen“ trefft. Wie würdet ihr eure eigene Philosophie da beschreiben?
Faul, pervers und arbeitsscheu - für immer Rot-Weiss Essen treu!
Das hängt natürlich auch unmittelbar mit dem Verein zusammen: Was macht für euch das Besondere, die Faszination am Verein Rot-Weiss Essen für euch aus?
Viele haben sich den Verein ja gar nicht ausgesucht. Wenn der Vater einen mitnimmt, dann ist das halt so. Da hast Du nicht die Möglichkeit zu sagen „Wer ist gerade der beste Verein? Ich kaufe mir ein Bayern-Trikot!“. Aber das ist vielleicht schon genau ein wichtiger Punkt. Hier wurde und wird das Fansein noch vererbt. Soziale Kontakte spielen eine sehr große Rolle. Hier kommt keiner hin weil er guten Fußball sehen will oder den Erfolg sucht. Hier ist die Gemeinschaft wichtig. Man kennt sich und läuft sich andauernd über den Weg. Da steht der Rechtsanwalt neben dem Arbeitslosen. Es ist irgendwie halt familiär und Familie sucht man sich ja bekanntlich auch nicht aus. Dazu kommt der Punkt, dass RWE nach wie vor anders ist. Wir sind schon sehr weit weg von dem Raubein der 80er und 90er, aber manche Sachen gehen hier halt noch, während anderswo die Nase gerümpft wird. „Das wichtigste daran, ist dass man einmal in der Woche ein paar Faxen machen kann!“ heißt es in einem bekannten Lied, genau darum geht es eben auch. Mal raus aus dem Alltag kommen und am Wochenende was anderes machen. Sich auch ruhig mal etwas daneben benehmen und ausleben können. Da kann man mal schreien ohne dass man direkt blöd angeguckt wird. RWE ist speziell und kaum in Worte zu fassen, muss man auch nicht. Entweder man liebt oder hasst diesen Verein. Dazwischen gibt es kaum was, das merkt man immer wieder, wenn man sagt „Ich gehe zu RWE!“ - das Gesicht vom Gesprächspartner ist dann meist sofort zu deuten. Mit diesem Verein hast Du nicht viele Freunde, doch die, die Du hast, teilen deine Träume!
Glaubt ihr, dass das „rotzige“ Flair, der RWE immer ausgemacht hat, überhaupt auf Dauer zu erhalten ist?
Wir gehen einen Schritt weiter, auch wenn wir uns damit irgendwie ins eigene Fleisch schneiden und vielleicht keine neuen Freunde machen. Wir lehnen uns weit aus dem Fenster und behaupten mal, dass das „rotzige“ Flair schon längst nicht mehr im vollen Umfang präsent ist, wie es mal war. Das klingt hart, weil im Vergleich zu anderen Vereinen und deren Fanszene ticken die Uhren in Essen eben doch noch anders, aber für die Leute unter uns, die mindestens noch die 90er live miterlebt haben, ist schon sehr viel vom Mythos Hafenstraße abgestorben. Von daher liegt es an der jetzigen Fanszene, RWE noch den letzten Rest Selbstbestimmung aufzubewahren und dafür zu sorgen, dass Rot-Weiss Essen nicht endgültig zu einem 08/15-Verein verkommt.
Welche Rolle habt ihr im Stadion? Es gab immer mal wieder Diskussionen darüber, dass die Ultras allgemein sich zu wichtig nehmen. Oft wird euer Dauersupport als „Singsang“ abgetan, der die unmittelbare Reaktion und Emotion auf gewisse Spielszenen kaputt macht. Gleichzeitig sieht man, dass ohne euch meist überhaupt keine Stimmung herrscht. Wie geht ihr mit dieser Kritik um? Gibt es überhaupt noch nennenswerten Support, der sich nicht in der Ultra-Bewegung organisiert?
Wir nehmen Kritik an, es kommt nur auf das „wie“ an. Wir sagen und meinen es ganz klar und ehrlich, wer etwas auf der Seele hat, soll uns ansprechen! Wir bekommen mittlerweile zig E-Mails oder werden an unserem Stand am Spieltag angesprochen, den Inhalt nehmen wir dann natürlich mit und besprechen das intern. Man muss allerdings unterscheiden zwischen den Leuten, die es wirklich ernst meinen und den notorischen Meckerköppen, die an allem etwas auszusetzen haben. Es gibt zum Beispiel die großen Internetforen, in denen wir eigentlich kaum mehr unterwegs sind. Da gibt es User, die sich mit der Materie beschäftigen und Leute, die einfach nur Bock auf Pöbeleien haben. Zweiteres Klientel nehmen wir nicht mehr wahr. Und ganz abgedreht wird es dann, wenn Leute in den Foren gegen uns schreiben, diese aufgefordert werden, das persönlich am Stand zu besprechen und dann aber eben nicht dieses Angebot wahrnehmen. Und wenn dann noch als Begründung angeführt wird, man hätte Angst vor uns, hört jegliches Verständnis bei uns auf. Unsere Rolle im Stadion haben wir kürzlich auf unserer Homepage erklärt: Wir sehen uns nach wie vor als Teil des Ganzen. Nicht als Nabel der Welt und erst Recht nicht als Diktator der Kurve. Klar, wir sind angreifbar weil die größte – in Zahl und Präsenz – Gruppe im Stadion. Das kennen wir und nehmen diesen Spießrutenlauf seit zwölf Jahren auf uns. Bei Choreos sind wir die tollen erwachsenen RWE-Fans, die alles für den Verein geben, an Tagen, an denen alles schief geht, dann wieder kindische, besoffene Selbstdarsteller, denen es nur um Randale geht. Wir können das ab und halten mittlerweile gern auch noch die andere Seite hin, wenn es sein muss, um die Situation zu entspannen. In diesem Kontext kann man das auch ruhig mit der Stimmung aufgreifen. Wir sind die letzten, die sich beschweren, wenn das Stadion ausrastet und spielbezogen supportet. Aber das ist einfach nicht mehr der Fall. In unseren Augen hat sich das Publikum in Deutschland komplett verändert. Früher ging eine gewisse Anzahl von Leuten ins Stadion, die etwas mit dem jeweiligen Verein verbunden haben. Mittlerweile ist Fußball aber ein Event, den die Leute konsumieren. Schaut Euch doch ein Heimspiel der Münchner Bayern an. Da stehen ein paar Leute in der Südkurve und machen und tun, und der Rest sitzt stur rum und fängt beim Unentschieden zur Halbzeit an zu pfeifen. Wenn die paar Leute in der Südkurve nichts machen würden, wäre entweder eine Friedhofsstimmung vor Ort oder eben nur noch Eventstimmung angesagt. Das geht auch mit dem Drumherum einher. Immer mehr Vereine arbeiten mit künstlicher Stimmung wie lauter Musik, Hüpfburg vorm Stadion und, und, und… das hat in unseren Augen nichts mit dem Verein und dem Fußballsport zu tun, sondern ist nur ein weiterer Schritt in Richtung Kommerzialisierung und Eventismus. Unserem Empfinden nach ist hier manchmal weniger ganz klar mehr. Aber auch ganz klar ist, dass sich das Drumherum und die Veränderung vom Publikum auf die Stimmung im Stadion niederschlagen. In Essen sind solche Auswüchse mittlerweile ja auch zu sehen. Pfiffe zur Halbzeit waren vor zig Jahren eher untypisch. Wenn, dann wurde nach dem Spiel klar gemacht, was man von der Vorstellung hielt, gerne auch mal deftig, aber mittlerweile ist ein 0:0 zur Halbzeit schon für viele ein Grund zu pfeifen. Und was die Stimmung betrifft, sind wir unser größter Kritiker. Da gibt es immer die Diskussion, entweder dem britischen Support mit spielbezogenen Schlachtrufen, oder dem italienischen Support mit andauerndem Gesang zu frönen. Wir denken, dass wir da einen guten Mittelweg gehen, der sicherlich nicht allen schmeckt, aber jedem offen lässt, worauf er Bock hat. Sollen die Leute doch was anstimmen, wir machen mit, wenn es ankommt! Und wenn das Stadion bebt, sind wir die ersten, die sich freuen. Nur wie gesagt ist das so einfach nicht mehr der Fall. Mittlerweile geht ja ohne unseren Vorsänger kaum mehr was, dabei wollten wir einen solchen eigentlich nie haben, sondern setzten ihn vielmehr als Stimmungskoordinator ein. Das war auch zu Zeiten der alten Nord im GMS schon der Fall. Ja und wenn wir dann selbst – warum auch immer – mal nichts machen, kommt vom Rest auch nichts. Eigentlich müssten sich die Kritiker da mal ein Herz nehmen und richtig Gas geben, aber wirklich kommen tut da dann nichts. Wir wären wie gesagt die ersten, die es begrüßen würden, auch wenn wir uns damit wieder ins eigene Fleisch schneiden… Und noch mal klarstellend zum Thema „Übersingen“: Wenn Gesänge aus dem Block heraus angestimmt werden, werden diese nicht bewusst übersungen. Klar, beim vierten „Von der Ruhr bis an die Elbe…“, welches nicht wie früher zehn Minuten getragen wird sondern höchstens zwei Minuten lang hält, haben auch wir irgendwann genug. Aber in den meisten Fällen kommen die Gesänge bei uns unten nicht oder zu spät an, so dass wir hier schon längst selber den nächsten Schlachtruf angestimmt haben. Wir können nur dazu ermutigen, weiter Lieder anzustimmen und die Hütte beben zu lassen!
Teil 3 gibt es auf Seite 3