Sondern weil sich Björn Mehnert, Trainer des Liga-Rivalen Westfalia Rhynern, den einen oder anderen Seitenhieb nicht verkneifen konnte und meinte, dass der VW Käfer – also seine Mannschaft – mit dem Porsche, sprich dem SV Rödinghausen, doch ganz gut mitgehalten hätte.
„Diesen ganzen Mist über die Höhe unseres Etats, der immer geschrieben wird, den kann ich schon gar nicht mehr lesen. Irgendwelche Summen von unserem Stadion, das da hingestellt worden ist, auf die Mannschaft herunterzubrechen, finde ich nur noch lächerlich“, moserte Ermisch – und zwar nicht zum ersten Mal in dieser Saison. Mehnert hatte im Vorfeld schon vollmundig „den wohl finanzkräftigsten Oberligisten in ganz Deutschland“ angekündigt – ohne seine Vermutung mit Zahlen zu belegen. Er hätte auch vom „wohl meist geschmähten Oberligisten in ganz Deutschland“ sprechen können und hätte im Lager des SVR damit wahrscheinlich auch nicht mehr Entrüstung ausgelöst.
Andy Steinmann kennt das alles schon. Nicht erst seit dem Oberliga-Aufstieg, sondern schon seit einigen Jahren, eilt dem Verein sein Ruf voraus. „Da müssen wir drüber stehen. Ich bin seit der Bezirksliga dabei und es ist jedes Jahr das selbe Spiel. Sogar jede Woche, egal wo wir hinkommen“, erklärt der Co-Trainer des SV.
Vereine in der Jugend 1990 - 2001: DJK Märkisch Hattingen 2001 - 2004: TSG Sprockhövel Vereine als Senior 2004 - 2006: TSG Sprockhövel 2006 - 2008: FC Schalke 04 II 2008 - 2009: Sportfreunde Lotte 02/2010 - 07/2010SG Welper seit 2010: SV Rödinghausen (ab 07/2011 Co-Trainer)
Weniger die Frage nach dem Hinkommen, sondern vielmehr nach dem Herkommen, ist im Fall des 28-Jährigen interessant. Steinmann ist schließlich ein echter „Ruhri“, quasi „unser Mann in Rödinghausen“. „Ich freue mich total darüber, dass wir jetzt in der Oberliga spielen“, erklärt der gebürtige Hattinger, denn jetzt ist jedes zweite Auswärtsspiel für ihn ein kleiner Ausflug in die Heimat. Und gerade zu Saisonbeginn meinte es der Staffelleiter gut. In Ennepetal, Heven, Zweckel und Herne konnte Steinmann stets einige Bekannte und nicht zuletzt seine Eltern begrüßen. „Ja, das ist schon cool. Das war vorher in der Landes- oder Westfalenliga noch ganz anders.“
Der Blondschopf kann von einer Karriere erzählen, die so bitter verlief, dass sie in dieser Form wohl ihresgleichen sucht. Los ging es bei der DJK Märkisch Hattingen, übrigens auch Heimatklub von Adrian Gurzinski und Alexander Thamm. Im zweiten Jahr der B-Jugend folgte der Wechsel zur TSG Sprockhövel, schon als Jungjahrgang in der A-Jugend-Mannschaft spielte Steinmann bei der ersten Mannschaft mit, stieg aber aus der Oberliga ab.
Als ihm dann als Mittelfeldspieler in einer Saison (2005/06) 16 Tore gelangen, klopfte Schalke 04 an – und der Traum von einer Profi-Laufbahn war plötzlich greifbar. „Ich habe die ersten 16 Spiele gemacht, dann ist mir der Innenmeniskus im rechten Knie gerissen. Das ist dann genäht worden und ich musste fünf Monate Pause einlegen. Direkt im ersten Spiel danach ist mir der Meniskus wieder gerissen“, berichtet Steinmann vom Beginn einer unglaublichen Verletzungsmisere.
„Ich konnte es einfach nicht lassen“
Es folgten vier Monate Pause, dann ein Außenmeniskusriss im linken Knie, fünf Monate Pause, dann der Riss des Außenbandes. Mittlerweile bei den Sportfreunden Lotte gelandet – wir schreiben das Jahr 2008 – riss zum ersten Mal das Kreuzband. „Bei der Operation wurde die Plastik dann irgendwie falsch angesetzt“, wie Steinmann berichtet, so dass ihn die gleiche Verletzung nur wenige Monate später erneut ereilte. Hatte sich der Hattinger in seinem zweiten Jahr auf Schalke noch „voll auf den Fußball konzentriert“, musste er bei den Sportfreunden einsehen, dass sein Körper scheinbar etwas dagegen hatte. Also zog der gelernte Industriekaufmann aus Lotte zurück in die Heimat, fand dort auf Anhieb aber keinen Job. Zumindest keinen richtigen, denn eine Aufgabe im Fußball ließ nicht lange auf sich warten. Mit gerade 25 Jahren sprang er bei der SG Welper als Spielertrainer ein. „Drei Spiele habe ich gemacht“, erinnert sich Steinmann an seine Zeit beim Bezirksligisten, die eigentlich nicht schlecht war – mit der erhofften Arbeitsstelle klappt es seinerzeit jedoch nicht.
Doch dann ging eine andere Tür auf – wenn auch in knapp 200 Kilometern Entfernung. „Mein Bruder wohnt in Rödinghausen und arbeitet bei Häcker Küchen. Er erwähnte im Betrieb dann, dass er einen Bruder hat, der was mit Fußball am Hut hat“, erinnert sich Steinmann. Was mit Fußball am Hut hat auch Horst Finkemeier, Seniorchef des Küchenherstellers und Sponsor des SVR. „Ich habe dort eine Anstellung im Einkauf bekommen und habe mir dann gedacht, dass ich ja auch mit dem Fußballspielen wieder anfangen könnte.“ Keine besonders gute Idee. „Im ersten Spiel habe ich mir schon leicht das Knie verdreht und mir im Winter dann zum dritten Mal das Kreuzband gerissen. Ich konnte es einfach nicht lassen.“ Die Fußballschuhe musste Steinmann vor drei Jahren also endgültig an den Nagel hängen. Weit weg von Hattingen oder Schalke, irgendwo im Schatten des Wiehengebirges. Bei einem Bezirksligisten zwar, der jedoch hatte noch so einiges vor.
„Das Hoffenheim der Liga“ ist seit 2009 ein gerne verwendetes Synonym für den 1970 gegründeten Klub. Da begann der rasante Aufstieg. Finkemeier investierte auf dem Dorf in Beine und vor allem Steine. Seine Vision manifestierte sich in einem Stadion, das seit dem 14. August 2011 in seinem ganzen Glanz erstrahlt und schon das eine oder andere Highlight in seiner jungen Geschichte sah. Vom Landesliga-Spitzenspiel vor 2.200 Zuschauern über Jugend-Nationalspiele bis hin zu internationalen Renommierklubs in der Vorbereitung. Werder Bremen, FC Valencia, Aston Villa, das kann sich durchaus sehen lassen. Und Steinmann war als Co-Trainer immer dabei. „Ich hatte mir schon nach der Zeit in Welper vorgenommen, die Trainerlaufbahn weiter im Auge zu behalten. Normal wäre ja erstmal eine Aufgabe im Juniorenbereich gewesen, aber so wie es jetzt gekommen ist, soll es mir auch recht sein.“
Dass die Mentalität im niedersächsischen Grenzgebiet eine etwas andere als im Ruhrgebiet ist, kann Steinmann aber nicht verhehlen. „Oh, das war nicht ganz einfach. Das war ein riesiger Kulturschock. Im Ruhrgebiet ist es einfacher, mit den Leuten warm zu werden als hier“, berichtet er. „Ich wohne in Lübbecke in einer Doppelhaushälfte und blicke direkt auf den Bauernhof gegenüber, wenn ich aus dem Fenster gucke“, schmunzelt der junge Familienvater. Der größte Wohlfühl-Faktor in der Provinz ist für Steinmann ohne Frage die Familie. „Neben meiner Frau Alina ist auch die Tatsache, dass mein Bruder Roy hier in der Nähe ist, sehr wichtig für mich. So habe ich noch eine Bezugsperson mehr.“ Und Leo nicht zu vergessen! Seit drei Monaten ist Steinmann stolzer Vater eines kleinen Sohnes.
Darf der Nachwuchs denn auch Fußballer werden oder ist dieser Sport angesichts der eigenen Krankenakte tabu? „Ich hoffe, dass er nicht meine Bänder geerbt hatte“, schmunzelt Steinmann.