Doch statt der großen Karriere in der Bundesliga folgte der Absturz. In der neuen Serie „Wir waren mal Stars“ sucht RevierSport nach Gründen.
Marco Dej hat es eilig. Noch eine Klausur, dann ist das zweite Semester für ihn beendet. Er hastet in Richtung seines Ford Fiesta, drückt aufs Gas und braust Richtung Dortmunder Uni. Wenn alles nach Plan gelaufen wäre, würde er statt dem Kleinwagen einen Porsche fahren und Wirtschaftswissenschaften nur als Hobby studieren. Denn eigentlich war für Dej die große Karriere beim BVB vorgesehen. Mittlerweile kickt er bei Westfalia Rhynern und freut sich, dass es wieder aufwärts geht.
Rückblick: Als E-Jugendlicher gibt der Junge aus Unna den klassischen Zehner bei Westfalia Wickede, doch er traut sich noch mehr zu. Beim Probetraining bei Borussia Dortmund überzeugt er, man will ihn haben. Der Jungspund entscheidet sich letztlich gegen einen Wechsel zum großen Nachbarn, weil er sich ganz aufs Lernen konzentrieren will; die Entscheidung über eine weiterführende Schule steht an.
Ein Jahr später trifft Wickede im Pokal auf die Schwarz-Gelben. Der Außenseiter verliert, doch Dej überzeugt den BVB-Trainer. Kurze Zeit später ist er ein Borusse. Ab diesem Moment geht es für den Youngster positionsmäßig nach hinten, nämlich ins defensive Mittelfeld, ansonsten aber steil nach oben.
Auf Augenhöhe mit den Bender-Zwillingen
Insgesamt vier Jahre lang wird er Kapitän der BVB-Nachwuchsteams sein, und als ihn in der B-Jugend eine Einladung zur U17-Nationalmannschaft erreicht, ist das nur eine logische Konsequenz seiner Entwicklung. Nun sollte man dazu erwähnen, dass es in Dejs Jahrgang die Bender-Zwillinge gibt, die eben auf seiner Position agieren. Dej spielt trotzdem in der EM-Qualifikation, als Doppelsechs mit Lars Bender. Seine Vorderleute heißen Toni Kroos und Marko Marin. „Bis auf drei oder vier sind alle aus dieser Mannschaft Profis geworden“, berichtet Dej. Er selbst zählt zu den wenigen, die es nicht gepackt haben.
Womöglich fing der Negativtrend bereits bei seinem Höhepunkt mit der Nationalmannschaft an. Für seine persönliche EM-Teilnahme hat es schon nicht mehr gereicht, „es lief nicht so gut“, sagt Dej. So ist nach fünf Einsätzen in der DFB-Auswahl Schluss.
Bei den BVB-Bubis ist er trotzdem ein Leistungsträger, er führt sie bis ins Finale um die Deutsche U17-Meisterschaft. Dortmund verliert, ausgerechnet gegen 1860 München mit den Bender-Zwillingen. Manch einer sagt, dass die beiden Ausnahmekönner den Unterschied ausgemacht haben. Dej empfindet das nicht als Kränkung, er weiß ja, was er kann.
Die Binde von Herrlich
Sein neuer U19-Trainer Heiko Herrlich weiß das auch und übergibt ihm die Kapitänsbinde. „Ich wurde immer als Führungsspieler gesehen, vielleicht auch, weil ich taktisch ziemlich weit war“, sagt Dej. Das Spielverständnis hilft ihm allerdings nicht mehr im zweiten Jahr bei der U19. Es gibt wieder einen neuen Coach, Peter Hyballa, und auch der macht Dej zum Kapitän. Doch der Stammspieler ist ständig verletzt, laboriert an einem Bänderanriss und einer weichen Leiste. Am Ende stehen zwölf Saisoneinsätze in seiner Bilanz, davon nur zwei über 90 Minuten.
Es ist nicht gut, wenn das letzte Jahr vor dem Sprung zu den Senioren schlecht läuft, das weiß Dej. Aber es gibt ja noch die beidseitige Option auf einen Zweijahresvertrag bei den Amateuren. Bis zu einem Gespräch mit Reserve-Coach Theo Schneider ist sich Dej auch sicher, sie ziehen zu wollen. „Aber dann wurde mir gesagt, dass meine Aussichten nicht gut wären und dass ich woanders bessere Chancen hätte, zu spielen“, sagt Dej. Erstmals ist eine Bitterkeit in seiner Stimme erkennbar. „Ich war gekränkt, schließlich hatte ich bis auf die letzte Saison immer gut gespielt. Im Nachhinein wäre es vielleicht besser gewesen, trotzdem zu bleiben.“
So steht er plötzlich ohne Verein da, und wegen der Leistenprobleme kann er sich nicht im Probetraining beweisen. Es gibt keine Angebote, bis der damalige BVB-Nachwuchskoordinator Edwin Boekamp von Münster erzählt. So kickt Dej plötzlich in der zweiten Mannschaft der Preußen. Er darf regelmäßig oben mittrainieren, „aber es gab nie eine große Resonanz von der ersten Mannschaft“.
Aufschwung an der A2
Im Sommer 2009 ist Dej ganz unten angekommen. Er wechselt zu Westfalia Rhynern in die sechste Liga und nimmt sein Studium auf. „Der Fußball ist etwas in den Hintergrund gerückt“, sagt er. Seinem Spiel merkt man das nicht an: Er blüht auf, schießt als „Sechser“ acht Tore und verpasst nur eine einzige Partie, weil er auf der A2 im Stau steht. Am Ende des Jahres sind Dej und Rhynern in die NRW-Liga aufgestiegen. Er hat wieder Spaß am Spiel. Denn Dej weiß, dass er die Geschichte vom Scheitern gerade umschreibt.
Nur manchmal kommen noch diese dunklen Gedanken in ihm hoch, die Frage, warum jetzt andere ganz oben sind, die gerade eben noch auf Augenhöhe mit ihm waren. „Für die Jungs ist es schön, dass sie es geschafft haben, für mich ist es hart. Manchmal hadere ich mit dem Schicksal und mit mir selbst“, sagt der 21-Jährige. Die Prioritäten haben sich in seinem Leben verschoben, er ist auch ohne den ganz großen Sport glücklich. Aber insgeheim hofft er doch noch, einen Anruf von ganz oben zu bekommen: „Die Chance ist marginal, aber ich gebe meinen Traum nicht auf.“