Möglichst schnell die nötigen Punkte für den Klassenerhalt sammeln. So lautet Jahr für Jahr das offizielle Saisonziel des Frauenfußball-Bundesligisten SGS Essen. Die Erwartungshaltung sollte nicht zu hoch gesteckt werden, auch wenn sich die Essenerinnen längst in der Eliteliga etabliert haben. So erreichte Schönebeck in der vergangenen Spielzeit Platz sechs – fernab vom Abstiegskampf. Kapitänin Ina Lehmann blickt zurück und zieht ein Fazit.
Ina Lehmann, sportlich hatte die SGS eine vollkommen sorgenfreie Spielzeit. Wie zufrieden sind Sie mit dem Abschneiden Ihres Teams? Insgesamt hätte ich mir schon gewünscht, dass wir in der Tabelle etwas weiter nach oben kommen. Vor allem, weil wir eine wirklich gute Hinrunde gespielt haben. Dann haben wir eine Schwächephase erwischt und rund um den Jahreswechsel vier Pflichtspiele in Folge verloren. Platz vier oder fünf wäre toll gewesen.
Zu Saisonbeginn war Ihre Mannschaft noch erster Verfolger von Spitzenreiter Turbine Potsdam. Welche Gründe sehen Sie, warum die SGS den Anschluss an die Liga-Spitze anschließend verloren hat? Wir haben auf jeden Fall zu viele individuelle Fehler gemacht, die uns um Punkte gebracht haben. Das zu erklären, ist schwierig – viel schwieriger als gruppentaktische Fehler. Dazu kommt auch das Verletzungspech. Linda Dallmann ist zum Ende der Hinrunde ausgefallen, Nina Brüggemann und ich mussten Anfang des Jahres pausieren. Lea Schüller stand fast ein halbes Jahr nicht zur Verfügung. Ein bis zwei Ausfälle von Stammkräften können wir verkraften. Wenn es mehr sind, ist unser Kader noch nicht reif und breit genug aufgestellt.
Nach sechs Jahren unter Markus Högner hat Daniel Kraus zu Saisonbeginn das Traineramt bei der SGS übernommen. Inwiefern war seine Handschrift bereits zu erkennen? Ich finde, dass sich unsere Raumaufteilung stark verbessert hat. Wir sind so taktisch variabler und können auch während des Spiels unser System wechseln. Das Pressing ist für Daniel Kraus elementar wichtig. Das ist seine Spielphilosophie. Markus Högner hat eher Wert auf Kreativität und freie Laufwege gelegt. Das hat manchmal weltklasse funktioniert, manchmal war es vogelwild. Die Balance zwischen taktischen Vorgaben und spielerischer Kreativität zu finden, ist die Aufgabe für die kommende Saison.
Sie schauen schon nach vorne. Das Gesicht der SGS wird sich in der kommenden Spielzeit verändern. Rekordspielerin Charline Hartmann und Ex-Weltmeisterin Kozue Ando beenden ihre Karriere. Vanessa Martini – Ihre Vorgängerin als Spielführerin – verlässt den Verein. Wie schwer wiegen diese Abgänge? Alle drei sind ein großer Verlust. Vanessa hat zwar zuletzt nicht so viel gespielt, aber sie hat im Hintergrund immer für unheimlich viel positive Energie gesorgt. Charline hat sich immer für die Mannschaft reingehauen – an guten wie schlechten Tagen. Sie konnte vorne die Bälle festmachen, was unsere Ausrichtung mitbestimmt hat. Ich bin gespannt, wie unsere jungen Spielerinnen das lösen werden. Verstecken kann sich hinter Charline jetzt niemand mehr.
Wem trauen Sie denn zu, die Rolle von Hartmann zu übernehmen? Lea Schüller und Nicole Anyomi haben das Zeug dazu, auch wenn sie andere Spielertypen sind. Nicole hat leider in der vergangenen Rückrunde nicht viel gespielt, weil sie oft mit der U17 unterwegs war. Lea war lange verletzt. Ihr Ausfall hat uns wehgetan, weil sie die einzige Spielerin bei uns ist, die auch mal ohne echte Chance ein Tor machen kann.
In Turid Knaak, Marina Hegering und Ramona Petzelberger wurden drei durchaus namhafte Erstliga-Spielerinnen verpflichtet. Wie sehen Sie diese Transfers? Ich freue mich. Das sind drei Spielerinnen, die uns sofort weiterbringen werden, weil sie neue Qualität mitbringen. Bei Hegering ist es die Kopfballstärke. In der vergangenen Saison haben uns Gegentore nach hohen Bällen bestimmt sechs-, siebenmal das Genick gebrochen. Petzelberger kann zwischen mir und Linda Dallmann auf der Acht spielen und ist damit ein Bindeglied zwischen Defensive und Offensive, das wir so bisher noch nicht hatten. Knaak ist stark beim Kontern und im Dribbling. Ich bin froh, dass ich nicht mehr gegen sie spielen muss.