Schauplatz des Cup-Finales ist in diesem Jahr die Essener Sportanlage am Hallo, wo Landesligist Al Dersimspor Berlin und die Kreisliga-Kicker vom 1. FC Wiesloch Türkgücü um nichts geringeres als die deutsche Krone des türkischen Fußballs streiten. Mehrere regionale Vorentscheide galt es zu überstehen, nun treten die beiden letzten verbliebenen Teams gegeneinander an. Es steht also eine Menge auf dem Spiel, daher kalkulierten die Organisatoren auch mit mindestens 3.000 Besuchern.
Es ist jedoch nicht einmal die Hälfte vor Ort – und augenscheinlich fast ausschließlich Türken: Dabei sollte doch eigentlich jeder Besucher einen deutschen Freund mitnehmen, schließlich galt: „Giriş ücretsizdir“ – Eintritt frei. „Das entspricht aber unserer Erfahrung. Egal was wir machen, die Deutschen kommen leider nicht“, zuckt Organisations-Chef Ali Mumcu mit den Schultern.
Die wenigen „Teutonen“ unter den gut 1.000 Gästen verlieren sich auf der Stehtribüne, gleich vor einer improvisierten Gastro-Meile, an der sich die handvoll deutscher Geister scheiden. „Wollze au ma’ beißen?“, fragt ein offenkundig „einheimischer“ End-30er einen Mann, der sein Schwiegervater sein könnte, und reicht ihm seinen angekauten Döner. „Nä! Wat is’ dat denn überhaupt für’n Fleisch? Hammel?“ „Kalb“, belehrt der Fast-Food-Experte mit halbvollem Mund, zeigt aber Verständnis: „Naja, mein Vatter hätt’ dat auch nich’ gegessen.“
Ein Generationskonflikt der kulinarischen Sorte. Während sich das Bratwurst-Surrogat beim Gros der Schwarz-Rot-Gold-Fraktion dennoch großer Beliebtheit erfreut, endet die Völkerverständigung bei der Trinkkultur abrupt: „Kein Bier“, formten sich ungläubig die durstigen Lippen einiger Fußball-Freunde. Ayran, Tee, Uludag, Turka Cola – das war's… Schönsaufen war also nicht, wenngleich das Spiel der beiden Finalisten, nüchtern betrachtet, nicht zu begeistern vermochte. Nach 45 Minuten steht es korrekterweise noch 0:0. Denn außer einer vergebenen Großchance von Dersimspors Mevlüt Yildirim (höhnische Mario Gomez-Vergleiche inklusive), ist der Kick ein echter Langweiler. „Dafür, dass es um den Atatürk-Pokal ging, war das nicht so berauschend“, muss sogar Harun Özkul, einer der Mitveranstalter schließlich eingestehen.
Ob die Folkloretanz-Gruppe in der Halbzeitpause für mehr Unterhaltung sorgt? Über Geschmack lässt sich noch besser streiten als über Fußball. Auf den Rängen klatscht man zu volkstümlichen Klängen zumindest rhythmisch mit: Kein Wunder, die Sitztribüne ist fest in türkischer Hand. Unter einem Banner mit dem überdimensionalen Kopf Atatürks trägt Mann dort vornehmlich Anzug und Krawatte, optional mit Bart und Sonnenbrille. „VIP“ prangt auf weißen DIN A-4-Blättern, die an den wenigen leer gebliebenen Plätzen in der Tribünen-Mitte mit Tesa-Film befestigt sind.
Für die gut betuchte „Business-Klasse“ wirft sich auch der Hauptsponsor mächtig ins Zeug:„Volkswagen Türkçe konuşuyor“ – Volkswagen spricht Türkisch, behaupten schon am Eingang wetterfeste Werbebanner der Wolfsburger. Wer mag und es sich leisten kann, darf den Tiguan gleich probesitzen, für die anderen gibt es wenigstens Schlüsselbänder gratis.
An Gelegenheit, die „Giveaways“ abzugreifen, soll es nicht mangeln, schließlich nimmt man es mit dem Zeitplan nicht ganz so genau. Die Final-Partie ist bereits für 13.30 Uhr terminiert, der Anstoß erfolgt um 14 Uhr - gegen 15.13 Uhr beginnt Halbzeit zwei. Ein Vereinsmitglied des ortsansässigen Fußballklubs FC Stoppenberg, wie das grün bestickte Revers seines weißen Sonntags-Hemds verrät, erklärt einem Bekannten: „Da gehen die Uhren ganz anders. Deshalb brauchen die auch immer einen ganzen Tag. Wenn man feste Zeitvorgaben machen würde - das würde gar nicht funktionieren. Ob irgendwann einer Feierabend machen will, daran denken die gar nicht.“
In einem Fall gehen die Uhren von Deutschen und Türken jedoch ziemlich gleich: Ein Fußball-Match endet nach 90 Minuten – und an diesem Tag gewinnt Al Dersimspor – mit 2:0. Der zuvor noch als Chancentod gescholtene Yildirim und Lirim Midzaiti treffen für die Hauptstädter.
Keeper Filip Graf sieht den Gewinn ziemlich nüchtern. Schließlich sei er ja gebürtiger Pole, schmunzelt der 26-Jährige. „Aber für den türkischen Verein ist das schon sehr wichtig. Immerhin haben wir in den Vorausscheidungen sogar Mannschaften aus der Verbandsliga oder Türkiyemspor Berlin, die jetzt Regionalliga spielen, rausgehauen.“ Trotzdem will der Schlussmann mit seiner Truppe anschließend nur noch nach Hause, er sei einfach zu müde, um zu feiern. Für die Veranstalter sieht es nicht viel anders aus. Kazoglu gesteht: „Wir sind schon froh, wenn es vorbei ist. Schließlich hat es eine Menge Kraft gekostet.“
Fazit des Organisators, der selbst in der Bezirksliga die Fußballschuhe schnürt: „Zufrieden, aber nicht sehr zufrieden, um es mal diplomatisch zu formulieren. Heute ging es, aber gestern, beim Halbfinale, war der Zuspruch schon ein wenig katastrophal.“ Wenigstens eine kleine Hoffnung, dass noch der ein oder andere kommen wird, hegen aber alle im „OK“. Denn gleich trete Pop-Sänger Ismail Y.K. auf. „In der Türkei ist der ein echter Star, auch wenn er hier geboren und aufgewachsen ist“, weiß Yasin Ersoy, der sich neben der Organisation des Turniers im Integrationsbeirat der Stadt Essen engagiert. Dass sich die deutsche Fraktion wesentlich erhöht, bleibt dennoch zu bezweifeln. Dafür trifft man seine deutschen Freunde und Kollegen spätestens bei der Feier nach dem EM-Halbfinale wieder, da sind sich alle sicher…