Eine bizarre Vorstellung also, ich hätte damals meiner Mutter vorgeschlagen, mich zum Fußball zu begleiten. Sie hätte mich wahrscheinlich so entgeistert angestiert, als hätte ich mitgeteilt, dass ich bei »Jugend forscht« in der Sparte »Quantenphysik« auf Landesebene den 3. Platz belegt habe. Ihr reichte es schon völlig, alle drei Monate den Trikotkoffer vor die Füße geknallt zu bekommen und dann zwei Stunden lang verdreckte Stutzen zu entwirren. Mal ganz abgesehen von den Micky-Maus-Heften, die sie meinem Bruder ins Städtische Krankenhaus hinterher tragen musste, nachdem der sich von einem Todesgrätscher von TuS Ost die Achillessehne hatte lochen lassen. Ich hatte vollstes Verständnis, da musste sie sich nicht auch noch den Samstag versauen.
Die vielleicht berühmteste Fußballmutter: Frau Beckham. (Foto: firo)
Schulfreund Bernd verfiel in Schockstarre
Es hat jedoch inzwischen ein Umdenken stattgefunden, nicht nur bei den drei entfesselten Damen auf dem Berliner Sportplatz. Vorbei sind die Zeiten, als es für Mütter allenfalls als schicklich galt, ihre Töchter zur Rhythmischen Sportgymnastik oder zum Eiskunstlauf zu begleiten und dort schon beim Aufwärmen mit schnarrender Stimme einen dreifachen Rittberger mit anschließendem Toeloop zu fordern, weil das Kati Witt in dem Alter schließlich auch schon hinbekommen hat. Inzwischen findet kaum noch ein Fußballspiel der F- bis D-Jugend statt, bei dem nicht mindestens zwei, wenn nicht drei oder vier Mütter am Spielfeldrand lauern, um ihre Söhne mit Getränken und guten Ratschlägen zu versorgen. Und manchmal auch noch mehr als das: Im Verein des Sohnes meines Bekannten erzählt man sich die Schnurre von der Mutter, die während des laufenden Spiels vorfuhr und ihrem Sohn per Zuruf mitteilte, er habe seine langen Unterhosen vergessen, die er doch nun bitte überziehen möge. Eine traumatische Erfahrung, die jeden normalen Jungen später mal in eine psychiatrische Tagesklinik führt, allenfalls vergleichbar mit der Schockstarre, in die mein Schulfreund Bernd verfiel, als er von seiner Mutter um 23 Uhr von einer Punkrockparty abgeholt wurde, wobei die Mutter es für eine gute Idee hielt, 1. direkt vor dem Eingang zu parken, und als sie den Sohn nicht sofort fand, ihn 2. über den Hallenlautsprecher ausrufen zu lassen.
Nun ist es nicht so, dass es den Müttern generell an den Basiskenntnissen fehlt, um am Spielfeldrand mitzuhalten. Stumpfer als Väter, die jedes brutale Foul der eigenen Jungs mit einem stoischen »Tritt sich fest« quittieren, für Abspielfehler den universellen Ratschlag »Muss er alleine machen« aus der Tasche zaubern und den Rest des Spiels die Feststellung »Links ist alles frei« wiederkäuen, können Frauen eigentlich gar nicht sein. Da machte es auch nichts, dass sich Mütter schon mal beschweren, weil der eine Spieler jetzt gerade den Ball in die Hand genommen hat und der Trainer erst einmal geduldig erklären muss, dass der das darf, weil er ja Torwart ist. Und anders als manche Väter neigen Mütter auch nicht zu körperlichen Übergriffen. Man hat jedenfalls bisher noch nicht viel gelesen von Müttern, die mit der Eckfahne Minuten lang auf den Schiedsrichter eindroschen, weil der ihren Jungen nach einer Kopfnuss mit anschließendem Würgeversuch vom Platz gestellt hatte.
Nicht auszudenken also, die Fußballmütter könnten es sich wieder anders überlegen und zur Rhythmischen Sportgymnastik zurückkehren. Denn manches ist ohne sie schlicht nicht mehr denkbar. Wenn mal wieder der Mannschaftsbus streikt, weil der Platzwart den Hinweis »Super Bleifrei« für einen eindeutigen Fingerzeig, Diesel zu tanken, gehalten hat, bilden die Mütter selbstlos eine Sharan-Kolonne zum Auswärtsspiel. Und auch der Trainer freut sich, weil Fußballmütter im Winter eigentlich immer eine Thermoskanne mit Glühwein dabei haben. Als kleine Gegenleistung stellt er schon mal den Sohn in die erste Elf und verkündet: »Das wird mal ein ganz Großer!«, obwohl der arme Junge mit seinen Platt-, Spreiz- und Senkfüßen kaum geradeaus laufen kann und bei Kopfbällen seine Brille festhalten muss.
Wer als Jugendspieler dennoch unter dem Familienbesuch leidet, kann sich trösten. Spätestens in der C-Jugend verschwinden die Mütter nämlich langsam und machen Platz für die ersten Freundinnen, die eigentlich dem Angetrauten 90 Minuten lang bewundernde Blicken zuwerfen sollen, die dann aber nur gelangweilt auf der Abdeckung der Sprungmatte sitzen, große Blasen mit Hubba Bubba machen und die gesamten 90 Minuten SMS an ihre beste Freundin schreiben. Um dann nach dem Abpfiff endlich Hand in Hand mit dem Lebensgefährten zur nächsten Eisdiele zu schlendern, verfolgt von den neidischen Blicken der Mannschaftskameraden. Auf die wartet nur die Mutti im Sharan.