Das Programm zum 100-jährigen Vereinsjubiläum dauert noch bis zum September an, doch aus rein sportlichen Gründen hat der FC Schalke 04 in diesen Zeiten wenig Grund für eine ausschweifende Feier.
Auch unter der Ägide des welterfahrenen Star-Trainers Jupp Heynckes reichte es für die Königsblauen nur zur Teilnahme am ungeliebten UI-Cup. Welchen Stellenwert die internationale Trostrunde bei den anspruchsvollen Gelsenkirchenern genießt, drückt allein schon der von Manager Rudi Assauer despektierlich in die Runde geworfene Begriff vom „Döner-Cup“ aus. „Wenn man am Ende die Tabelle sieht: Was wir alles leichtfertig vergeben haben“, fasst sich Assauer beim Ziehen der Bilanz an den Kopf. „Wir haben immer ordentlich gekickt, daran lag es nicht, aber die Chancen nie richtig ausgenutzt. Das ist unser Problem.“
Dass es immerhin für den Umweg in den angestrebten UEFA-Cup reichte, darf als Minimalerfolg notiert werden. „Es hätte auch anders kommen können“, unkt Heynckes nicht zurecht. Denn bis in den späten Herbst drohte seine Mannschaft nicht nur im Mittelmaß, sondern gar im Abstiegskampf zu versinken. Erst der 3:1-Auswärtssieg bei Hertha BSC brachte Ende November die Wende – pikanterweise drei Tage später, nachdem man im UEFA-Cup bei den auf europäischer Ebene allenfalls zweitklassigen Dänen von Bröndby IF ausgeschieden war. Mit einer schönen Positivserie von zehn Spielen in Folge ohne Niederlage durfte das Team immer wieder an Platz fünf schnuppern, vergab aber im Endspurt der Saison gerade auswärts leichtfertig die Chance auf das Erreichen des angepeilten Ziels. „Angesichts der vielen Probleme, die wir von Beginn an zu bewältigen hätten, ist Rang sieben realistisch. Natürlich hätte auch ich mir mehr gewünscht, aber man darf nicht vergessen, dass die Mannschaft im Umbruch steckt und dieser auch noch nicht abgeschlossen ist“, weiß Heynckes, dass bei den Knappen zwischen Anspruch und Wirklichkeit besonders im Jahr des großen runden Geburtstags Welten lagen.
Denn abgesehen von der leider nur 70 Minuten währenden Gala-Vorstellung zum Auftakt gegen Borussia Dortmund lieferte die Schalker Truppe in insgesamt nur sechs von 34 Spielen hochklassiges Bundesliga-Niveau. Neben dem grandiosen 2:0-Sieg über Bayern München und dem Paukenschlag zum Rückrunden-Start in Dortmund waren dies ausgerechnet die Heimpartien gegen Freiburg, Hamburg, Berlin und Kaiserslautern, die zufrieden stellten. „Das Problem ist, dass wir gegen die Großen der Liga gut ausgesehen haben, aber gegen die vermeintlich kleinen Gegner viel zu viele Punkte verschenkt haben“, weiß Assauer.
Suchten Sven Vermant und Co. über eine Halbserie lang verzweifelt das Rezept, wie man in der eigenen Arena gegen defensiv ausgerichtete Mannschaften wie Frankfurt, Bochum, Rostock oder 1860 München zum Erfolg kommt, konnte der quälende Heimfluch erst auf der Zielgeraden besiegt werden.
Zu spät, um die Nummer eins im Revier zu werden und damit die Fahrkarte ins Glück zu lösen. „Wir haben unser Ziel nicht erreicht, also haben wir schlecht gearbeitet“, stellte Assauer letztendlich ernüchtert fest.
Aufsteiger Über zwei Jahre lang schien er sich mit seiner Rolle als Mitläufer abzufinden, ehe er kurz vor der Abschiebung endlich sein wahres Gesicht zeigte. Sven Vermant, für die meisten Beobachter der Prototyp für einen Spieler, der seine Möglichkeiten nicht ausschöpft. Das war einmal, seit dem 1:3 in Leverkusen ist der Belgier nicht mehr aus dem Schalker Mittelfeld weg zu denken. Die Vertragsverlängerung im Frühjahr war nur logische Konsequenz und Belohnung seiner fast durchweg guten Leistungen, nachdem er beinahe im Winter von sich aus das Weite gesucht hätte.
Beim Mannschaftsfoto zu Beginn der Sommer-Vorbereitung 2003 musste er noch als „Dummy“ herhalten, wenige Wochen später absolvierte er seine ersten internationalen Einsätze. Thomas Kläsener hat es zwar erst mit 27 Lenzen zum Bundesliga-Profi gebracht, doch seine Karriere wird nicht mit der Verpflichtung von Top-Abwehrspielern wie Mladen Krstajic und Marcelo Bordon jäh beendet sein. So konstant wie der vormalige Kapitän der Schalker Amateure über die gesamte Serie agierte und sich auch von seinem Missgeschick als „Handballer“ in Dortmund nicht aus der Fassung bringen ließ, gilt der Wirtschaftsstudent noch vor (Ex-) Kapitän Tomasz Waldoch als erste Alternative zu den genannten Neuzugängen.
Ließ der große Durchbuch des Thomas Kläsener lange auf sich warten, schaffte Hamit Altintop bereits im ersten Jahr nach seinem Wechsel von der „kleinen“ SG Wattenscheid zum „großen“ FC Schalke den Sprung in die Elite-Klasse. Und wie! Die sensationelle Gala beim 2:2 gegen Borussia Dortmund wird wohl noch für einige Zeit sein Spiel des Lebens sein. Das Niveau der ersten Auftritte konnte der inzwischen 21-jährige Türke auch wegen einer vierwöchigen Verletzungspause (Syndesmoseband-Anriss) nicht halten, doch allein die stattliche Zahl von 30 Bundesliga-Einsätzen machen klar: Hamit Altintop ist bereits in seinem ersten Lehrjahr für S04 unverzichtbar geworden.
Der Begriff vom Schalker Jugendstil machte mit Michael Delura auch der jüngste Profi im aktuellen Kader salonfähig. Der erst 18-jährige Abiturient durfte erstmals beim mageren 1:1 gegen Frankfurt Bundesliga-Luft schnuppern und stand insgesamt elf Mal in der ersten Elf. Ein beeindruckender Senkrechtstart für ein Talent, das noch in den A-Junioren spielen dürfte, auf das Trainer Jupp Heynckes aber zurecht ganz große Stücke hält.
Nur kurz dauerte indes die Bewährungsprobe für Christofer Heimeroth, der als zweiter Ersatz für Stammkeeper Frank Rost drei Mal zu Bundesliga-Ehren kam und seine Reifeprüfung mit Bravour bestand. Gut zu wissen, dass hinter der unumstrittenen Nummer eins ein Torwart steht, dem sämtliches Vertrauen gebührt.
Wie bei Heimeroth war auch für Fabian Lamotte das Abenteuer Bundesliga rasch beendet. Nach erfolgreicher Diät warf Heynckes den Rechts-Verteidiger beim 0:3-Debakel ins kalte Wasser. Der schweigsame junge Mann aus dem Siegerland hatte seinen großen Moment beim 4:1 gegen Hamburg, konnte echte Tauglichkeit für die Eliteklasse aber nur andeuten.
Absteiger Zur offiziellen Verabschiedung vor dem letzten Saison-Heimspiel gegen Kaiserslautern war er erst gar nicht mehr gekommen. Victor Agali, wenige Wochen zuvor wegen mangelnder Einstellung vom Trainings- und Spielbetrieb frei gestellt, wird nach seinen jüngsten Eskapaden niemand auf Schalke vermissen. Der Nigerianer konnte nur ein Jahr lang die Erwartungen erfüllen, wurde dann aber aufgrund seiner Anfälligkeit für Verletzungen und diverser Ausfälle auf und neben dem Platz zum Problemfall.
Nach vier fast durchweg erfolgreichen Jahren auf Schalke wechselt Tomasz Hajto zum 1.FC Nürnberg. Dass sein Weggang wie eine Flucht wirkt, hat sich der Pole im Wesentlichen selbst zuzuschreiben. Mit seiner Verwicklung in eine Zigarettenschmuggler-Geschichte ohnehin im Zwielicht, schoss sich der Ex-Duisburger mit seinem im Winter geäußerten Wunsch nach einer gesicherten Zukunft ein klassisches Eigentor. Statt mit dem Management über eine vorzeitige Verlängerung des bis 2005 laufenden Vertrages zu verhandeln, schlossen die Verantwortlichen die Akte Hajto.
Die Tage auf gezählt scheinen auch für Anibal Matéllan und Dario Rodriguez. Die beiden Südamerikaner verfügen zwar über gültige Arbeitspapiere (2005 bzw. 2006), haben aber sportlich keine Zukunft mehr bei den Knappen. In drei bzw. zwei Jahren auf Schalke konnten die Abwehrspieler nie beweisen, dass sie ein echter Gewinn für den Verein sind.
Das gilt für Gustavo Varela nicht. Zwar gehört der Glatzkopf wie sein Landsmann Rodriguez zu den Absteigern der Saison. Dem Mann mit der Nummer zehn traut man aber zu, dass er noch einmal zu seiner 2002 kurz angedeuteten Klasse zurück findet.
Vergessen ist inzwischen der erste Brasilianer auf Schalke, Eduardo Alcides. Der lange Schlaks zeigte in der Hinrunde gute Ansätze, schien den S04-Verantwortlichen aber nicht die vertraglich fixierten fünf Millionen Euro Ablöse wert, um das Ausleihgeschäft in eine feste Anstellung umzuwandeln.
Nach nur einem Jahr ist auch das Missverständnis Jochen Seitz beendet. In der Bewertung des ehemaligen Stuttgarter stehen genau ein sehr gutes Spiel (gegen Gladbach) sowie eine brauchbare Halbzeit (bei 1860 München) einem Dutzend katastrophaler Vorstellungen gegenüber.
Problem Nach seinem ersten Jahr auf Schalke weiß nun auch Jupp Heynckes die Verhältnisse im Club richtig einzuschätzen. Dass die Begeisterung der Fans gerade im Jubiläumsjahr nicht mit den Darbietungen seiner Spieler korrespondierten, wird ihn selbst am meisten gestört haben. Der ehemalige Weltklasse-Stürmer heuerte unter für ihn falschen Voraussetzungen in Gelsenkirchen an. Aus Bilbao kommend und fast zehn Jahre lang mit dem Geschehen in der Bundesliga nur aus der Ferne vertraut, glaubte Heynckes, auf Schalke den von Verantwortlichen und Zuschauern formulierten Erwartungen ohne Probleme gerecht werden zu können. Dass er nicht das Personal für diese Ambitionen zur Verfügung hatte, war ihm nicht bewusst. Was er aus der schwierigen Situation, die durch die teils verheerenden Verletzungen noch verschlimmert wurde, gemacht hat, mag keinen befriedigen, entsprach aber den vorhandenen Möglichkeiten. Der Satz eines langjährigen S04-Fans – „Diese Truppe hat keinen Charakter, noch nicht einmal einen schlechten“ – trifft die Sache wie kein zweiter auf den Punkt. Die Erkenntnis, dass eine Anhäufung von Mittelmaß den Verein nicht weiter bringt, malt die abgelaufene Serie nicht schöner, lässt aber für die Zukunft hoffen.
Zukunft Jupp Heynckes hat die Wurzel des Übels erkannt und ist in Zusammenarbeit mit dem Schalker Vorstand dabei, die Missstände zu beseitigen. Mit Ailton, Mladen Krstajic, Lincoln sowie wahrscheinlich auch Marcelo Bordon und Mark van Bommel hat sich der Fußball-Lehrer nach dem Vorjahres-Fiasko um Fernando Morientes nun einige Wünsche erfüllen dürfen. Der Kader besitzt nun eine deutlich andere Qualität als in der letzten Saison. Es ist ein erneuter Umbruch, aber ein gewollter und in ganz großem Stil. Es liegt nun an Heynckes, mit dem Personal seines Vertrauens ein Top-Team zu formen. Dann stimmen auf Schalke Anspruch und Wirklichkeit auch bald wieder überein. Schließlich will Rudi Assauer nicht erst seinen nächsten runden Geburtstag feiern müssen, wenn er endlich die Schale in der Hand halten darf.