Warum landet der selbsternannte Fußball-Romantiker Domenico Tedesco ausgerechnet beim Projekt RB Leipzig? „Auf die Frage habe ich gewartet“, sagte der neue Trainer des kriselnden Vize-Meisters bei seiner offiziellen Vorstellung fast schon erleichtert, „und ich habe mich auch sehr gut darauf vorbereitet.“
Seine Antwort tat dann auch niemandem weh. Weder seinen Ex-Klubs Schalke 04, Erzgebirge Aue und Spartak Moskau, noch seinem neuen Arbeitgeber. Er stehe zu seiner früheren Aussage, dass Tradition und Emotionalität für ihn wichtig seien. Schalke zum Beispiel stecke „noch hier drin“, sagte Tedesco, mit der rechten Hand auf sein Herz klopfend. Doch im Profifußball seien auch andere Dinge wichtig, und bei diesen Dingen verdiene sich RB „von zehn möglichen Punkten zehn“. Außerdem fühle er, „dass es für die Leute in Leipzig nicht unwichtig ist, ob RB ein Spiel gewinnt oder nicht“.
Tedesco, der Angepasste. Ähnlich unverbindlich äußerte sich der 36-Jährige vor seiner Premiere am Samstag (15.30 Uhr/Sky) gegen Borussia Mönchengladbach über seinen bevorzugten Spielstil. Ein Trainer müsse sich „immer an den Kader anpassen“, er sei „sehr flexibel“ und wolle sich „ungern in die Karten schauen lassen“.
Die Vorurteile aus seiner Schalke-Zeit, er stehe für unattraktiven Defensiv-Fußball, kennt Tedesco natürlich. Er will und muss beweisen, dass er mit dem exquisit besetzten Kader auch Offensiv-Spektakel bieten kann. Auf Wintertransfers pocht er für die Aufholjagd zur erneuten Champions-League-Qualifikation nicht. In der „knallharten Bundesliga“ reiche Qualität alleine aber nicht aus, warnte der Deutsch-Italiener: „Da muss schon ein bisschen mehr kommen.“
Leidenschaft zum Beispiel - und die lebt Tedesco vor. „Ich brenne für die Sache“, sagte der Nachfolger von Jesse Marsch, er könne es „kaum abwarten, endlich loszulegen“. Das halbe Jahr Pause nach seinem Aus bei Spartak Moskau tat ihm sichtlich gut. Die Zeit nutzte er zur Erholung, für die Familie - und für Spielanalysen. In Italien sah er sich zum Beispiel zehn Partien in 14 Tagen live vor Ort an.
Tedesco gilt in der Branche als Arbeitstier, als jemand, der auch durch seine Berufsausbildung zum Kaufmann im Groß- und Außenhandel die Bodenhaftung nie verliert. Als ein Taktikfuchs, der aber auch die Sprache der Spieler spricht. Im wahrsten Sinne des Wortes, mittlerweile kann er sich in sechs Sprachen unterhalten.
Christian Heidel, der Tedesco zum Ende seiner Schalke-Zeit mächtig im Regen hatte stehen lassen, beglückwünschte Leipzig zur bestmöglichen Trainerwahl. „Er findet in letzter Zeit ja immer wieder lobende Worte über mich“, reagierte Tedesco schmunzelnd: „Ziehen Sie mal zwanzig Prozent ab, dann können Sie den Rest glauben.“
Ähnliches gilt sicher auch für Julian Nagelsmann, Tedescos omnipräsenten Vor-Vorgänger in Leipzig. Dessen Name falle hier „sehr, sehr häufig“ - aber damit hat Tedesco anscheinend kein Problem: „Wenn du gute Arbeit machst, dann bleibst du in den Köpfen und Herzen der Leute drin.“ Das ist auch sein Ziel.
Dass beide im selben Lehrgang den Fußballlehrerschein erworben haben und Tedesco als Jahrgangsbester sogar besser abschnitt als der heutige Bayern-Coach, ist hinlänglich bekannt. Aber bestimmt hatte sich Tedesco bei seiner Vorstellung auch auf eine Frage dazu vorbereitet.
SID js nt