Wer sich in Mönchengladbach ein bisschen genauer umschaut, an den Stromkästen vor dem Stadion, an den Laternen auf dem Alten Markt, der sieht die Aufkleber aus dem Februar noch. „Rose, verpiss Dich“, haben die Fans der Borussia ihrem Trainer Marco Rose in Großbuchstaben entgegengeschrien, als der gestanden hatte, zum Rivalen aus Dortmund zu wechseln. „Söldner“ und „charakterloses Schwein“ stand auf einem riesigen Plakat.
Am Samstag (18.30 Uhr/Sky) kehrt Rose mit seinem BVB in den Borussia-Park zurück - es wird wohl brisant werden. Denn durch die Pandemie ist den Enttäuschten in den letzten Monaten der vergangenen Saison die Gelegenheit verwehrt geblieben, Rose ihre Wut persönlich vor die Füße zu schleudern.
Für viele ist die Zeit der Abrechnung gekommen. „Wir haben gemerkt, dass wir von ihm hinters Licht geführt und verarscht worden sind“, sagte Michael Weigand, Vorstand des einflussreichen Supporters Clubs, der Sport Bild. Selbst Manager Max Eberl hat noch einmal darauf hingewiesen, dass das Gerede seines Ex-Trainers von Identifikation letztlich wohl Blendwerk gewesen ist. „Ich verstehe die Fans. In Deutschland herrscht Meinungsfreiheit“, sagte er.
Ich finde, er hat keine Pfiffe verdient. Marco ist ein super Mensch
Jonas Hofmann
Der Ton ist also gesetzt, die Nachtragenden unter den Fans werden sich wahrscheinlich einiges einfallen lassen. Gewaltandrohungen wären bei „der Rückkehr des Herrn R.“ allerdings „völlig fehl am Platze“, teilte das Fanprojekt mit.
Rose spielt die Pikanterie eines unangenehmen Wiedersehens herunter. „Ich versuche, die Geschichten, die daraus gemacht werden, für mich nicht aufkommen zu lassen“, betonte er. Im Gegenteil: „Ich freue mich auf eine Menge Leute, die sich auch freuen, mich zu sehen. Auch aus der Mannschaft.“ Die Spitznamen seiner Ex-Spieler, das bewies er am Donnerstag, kann er jedenfalls noch im Schlaf aufsagen. Er nennt sie auch weiterhin „die Jungs“.
Zumindest einer von ihnen stellt sich schützend vor den Rückkehrer: Jonas Hofmann. „Ich finde, er hat keine Pfiffe verdient. Marco ist ein super Mensch“, sagte der Nationalspieler der Bild-Zeitung. Sportlich gebe es auch keinen Anlass zu Schimpftiraden: „Er hat mit Gladbach Vereinsgeschichte geschrieben, erstmals die K.o.-Runde der Champions League erreicht.“
Bonhof verkneift sich Kommentar
Da war alles auch noch in bester Ordnung. Doch Roses Abschiedsankündigung kam früh, Monate vor dem Saisonende, die Fassade krachte zusammen. Gladbach verpasste die Europapokalplätze - Rose hingegen grüßt mit dem BVB fröhlich aus der Königsklasse. Das kann schon mal sauer aufstoßen, so manch einer verkneift sich lieber die öffentliche Wertung. „Ich sage nichts“, erklärte Gladbachs Vizepräsident Rainer Bonhof dem SID am Donnerstag, „da bin ich Granit.“
Die steinharte Realität verursacht der Borussia vom Niederrhein ohnehin andere Sorgen. In vier Spielen nach dem erfreulichen 1:1 gegen Bayern München zum Saisonauftakt sind nur drei weitere Punkte hinzugekommen, der fünfmalige deutsche Meister liegt auf dem 16. Tabellenplatz. Ob dies Spätfolgen von Roses Abschied sind oder Anpassungsprobleme an dessen Nachfolger Adi Hütter? Offen.
Marco Rose kann jedenfalls am Samstagabend nicht weiterhelfen. „Ich konzentriere mich aufs Wesentliche: die Arbeit, die Aufgaben“, sagt er. „Es geht darum, dass man für seinen neuen Verein das Bestmögliche herausholt: drei Punkte.“ Danach „kann man dann vielleicht noch mal ein bisschen plaudern“. Wenn man denn vor lauter Pfiffen etwas versteht.