Hermann Gerland saß gerade auf dem Trecker und drehte mit Enkelkind Paul eine Runde über seinen Bauernhof bei Gütersloh, als ihn die Bayern-Bosse anriefen: „Die kamen auf einmal zu mir.“ Der Tiger sollte das Nachwuchsleistungszentrum leiten. Die Frage kam für den 63-Jährigen überraschend, Hütchen aufstellen und wieder abräumen, könne er ja. Aber das? Dabei hätte der Fußball-Bundesligist keinen besseren fragen können. Denn die Bochumer Legende, ein Mann mit der Hartnäckigkeit eines Kohlenschauflers, entdeckte die größten Talente des Rekordmeisters. Gegen alle Zweifel, sogar gegen die seiner Frau.
Die Ergebnisse sind für jeden Trainer überlebenswichtig. Wenn Peter Bosz die nächsten drei Spiele verliert, dann warten wir mal ab, was passiert.
Hermann Gerland
Am Mittwochabend hängt das größtenteils männliche Publikum im Dortmunder Fußballmuseum wie eine Bande Teenager an seinen Lippen, und irgendwann in der zweiten Halbzeit des Taktik-Talks ist es auch egal, dass Gründungsdirektor Manuel Neukirchner und Taktik-Experte Tobias Escher (spielverlagerung.de) dabeisitzen. Wenn Gerland spricht, hört das Revier zu.
Was die Aufgabe des Trainers sei, wird er vom Moderator des Taktik-Talks, Matthias Friebe, gefragt: „Zu gewinnen“, brummt er. Mehr kommt nicht. Stille im Restaurant, 100 Zuschauer warten, dass da noch was kommt, dass da noch eine Weisheit durch den Raum rollt. Aber der ehemalige VfL-Profi (204 Spiele) lässt sich Zeit, bis er sagt: „Die Ergebnisse sind für jeden Trainer überlebenswichtig. Wenn Peter Bosz die nächsten drei Spiele verliert, dann warten wir mal ab, was passiert.“ Gerland hat an diesem Abend, in diesen zweimal 45 Minuten, viel zu erzählen. Zum Beispiel, als Bayern-Star Thomas Müller über das anstrengende Training klagt: „Du Tiger, son Training gab's früher nicht.“ Und die Bochumer Legende dröhnt: „Wenn ich mit dir ein Training machen würde, Balla-balla, 1, 2, 3, dann würdest du 250.000 Euro beim VfL Bochum verdienen, nicht im Monat, sondern im Jahr.“ Müller, der Weltmeister, ist einer, den Gerland entdeckt hat. „Du willst mir sagen, dass Thomas Müller uns in der Champions League weiter schießt?“ haben die Verantwortlichen ihn damals gefragt. Gerland war sicher, und Müller schoss beim 3:0 gegen Maccabi Haifa zwei Tore. Mal wieder richtig gelegen.
Wenn Lahm kein Bundesliga-Spieler wird, gebe ich meine Lizenz ab und werde Volleyballtrainer.
Hermann Gerland
Zugespitzter war die Lage bei Philipp Lahm. Keiner wollte ihm glauben, dass aus dem mal ein Bundesliga-Spieler wird. „Wem glaubst du, dem Welttrainer oder dem Depp ausm Pott?“, fragt Gerland in die Runde. Er habe den späteren Kapitän der Nationalmannschaft „wie sauer Bier angeboten“. Ralf Rangnick gab Gerland eine Absage, selbst Gerlands Frau Gudrun zweifelte an seinem Gespür. „Wenn Lahm kein Bundesliga-Spieler wird, gebe ich meine Lizenz ab und werde Volleyballtrainer“, drohte der gebürtige Bochumer. Musste er nicht, Lahm wurde einer der größten Spieler des deutschen Fußballs. „Ich bin nicht der Entdecker, der war da. Ich habe gesehen, dass er gut war, und der war gut.“
Profi-Traum hat Gerland immer angetrieben
An einer Stelle berichtet Herberger-Experte Neukirchner, dass der Weltmeister-Trainer von 1954 1.500 Bücher hinterlassen habe, sich sein Wissen angeeignet habe, obwohl er mit zwölf Jahren von der Schule gegangen sei. Herman Gerland hat nicht so viele Bücher gelesen, aber er hat vom Leben gelernt: Sohn eines Bergmanns, aufgewachsen in der Malocher-Stadt Bochum, Geschwister und Freunde verteidigt, und nur ein Ziel gehabt: Profi zu werden. „Ich habe immer alles gegeben. Ich habe gern gearbeitet. Ich hätte nur gerne Trainer gehabt, die mir was beigebracht hätten.“ Nach jedem Training sei er „übersäuert gewesen. Nach jedem. Ich kannte nur eins: Vollgas.“ Nie habe er getrunken, nie geraucht. „Obwohl mir andere Spieler geraten haben, mal ein Bier zu trinken: ,Dann kriegste nicht so viele Muskelfaserrisse'“
Diese Disziplin will der Co-Trainer von Louis van Gaal, Pep Guardiola, Carlo Ancelotti auch bei seinen Jugendspielern sehen. Er sage ihnen immer: „Du kannst die besten Autos haben, die schönsten Häuser und Frauen, du hast für deine Urenkel ausgesorgt, aber jetzt musst du drei Jahre Fußball spielen.“