Die alten Fernseh-Bilder, die man im Internet findet, wackeln ein wenig und bei den Farben kann man sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Im bunten Sportanzug sitzt Udo Lattek auf einem Klappstuhl des Sponsors am Spielfeldrand, auf dem Kopf trägt er eine knallblaue Müllermilch-Mütze: So ist Schalke vor genau 25 Jahren in die Saison der Fußball-Bundesliga gestartet. Es ist das Jahr, in dem Udo Lattek Schalke-Trainer ist und bei den Königsblauen nochmal richtig angreifen will.
Lattek ist damals 57, eigentlich hat er seine Trainer-Karriere schon fünf Jahre vorher bei Bayern München beendet – beim 1. FC Köln ist er in der Zeit danach nur noch Sportlicher Leiter und sitzt im blauen Glücks-Pullover auf der Tribüne. Auf Schalke kehrt er aber wieder auf die Trainerbank zurück, weil ihn Präsident Günter Eichberg dazu überredet hat. Gemeinsam hecken sie den Plan aus, es allen nochmal richtig zeigen zu wollen: Der Schalker Sonnenkönig und der erfolgreichste Vereinstrainer der Welt. Mike Büskens, damals gerade als junger Spieler nach Schalke gewechselt, erinnert sich noch 25 Jahre später: „Diesen Coup hat sich Eichberg nicht umsonst ausgedacht. Er wusste, dass er damit Aufmerksamkeit zieht.”
Ballonseide – so war der Zeitgeist
Schon beim ersten Spiel am 15. August 1992 sind die Kameras alle auf Lattek gerichtet. Doch die Nummer geht schief: Schalke verliert zum Bundesliga-Start zu Hause mit 3:4 gegen den kleinen Nachbarn SG Wattenscheid 09, selbst drei Tore von Ingo Anderbrügge können die peinliche Pleite nicht verhindern. Und danach spricht alle Welt über Latteks Trainingsanzug in Mint und Weiß mit den vielen bunten Streifen, in den er sich mit seinen 57 Jahren zwängt. „Müllermilch-Mütze und Ballonseide-Anzug”, nennt Büskens das und schmunzelt: „Aber dieses modische Verbrechen hat er nicht alleine begangen. So liefen wir damals halt alle rum.” Es ist der Zeitgeist.
Ob Lattek damals noch in diesen Zeitgeist passt, ist die Frage – schließlich hatte er seinen Rückzug Jahre zuvor selbst damit begründet, dass das Feuer in ihm nicht mehr brennen würde. Doch für einen jungen Profi wie Büskens ist der Mann, der einst beim FC Barcelona einen Diego Armando Maradona trainiert hat, ein absolutes Highlight. Er erinnert sich: „Bei den Besprechungen hat Udo gebrannt wie Frittenfett. Der wusste schon, wo er emotional ansetzen musste – wenn du danach aus der Kabine kamst, hattest du das Gefühl, dass du über Kohlen gehen kannst.” Beim zweiten Spiel feiert Schalke gleich einen Derby-Sieg auswärts in Dortmund – da ist Wattenscheid schnell vergessen.
Mit Eichberg das „durstige Duo“
Lattek sieht seine Rolle auf Schalke als großer Zampano und emotionaler Einpeitscher – bei der täglichen Arbeit auf dem Platz wird er selten gesehen, die überlässt er seinen Assistenten Jürgen Gede und Jupp Koitka. Nur nach der Heimniederlage gegen Mönchengladbach macht er die Spieler am nächsten Tag selbst lang, dass es für diese „nicht so lustig” ist (Büskens): Das Spiel gegen seinen Ex-Klub vom Niederrhein ist für Lattek eine Prestige-Angelegenheit.
So richtig aufwärts geht es mit den Blauen in dieser Saison nicht: Ende September gibt es eine 1:6-Klatsche bei Bayer Leverkusen – Büskens muss in diesem Spiel sogar im Tor aushelfen, weil Jens Lehmann sich verletzt. Danach beschließen Lattek und Eichberg, dass gegen den Frust wohl mal ein zünftiger Umtrunk helfen würde – fortan werden beide gerne als das „durstige Duo” bezeichnet.
Im Winter, noch vor dem Start in die Rückrunde, ist die große Show auf Schalke schon wieder vorbei. Günter Eichberg muss ein paar Tage verreisen, Schatzmeister Rüdiger Höffken nutzt die Abwesenheit, um Lattek mürbe zu machen. Nach Eichbergs Rückkehr wird an einem Vormittag eilig die Trennung vom großen Udo verkündet – es kommt Helmut Schulte.
Für Büskens aber bleibt die Zeit unter Lattek unvergessen: „Ich hatte allergrößten Respekt vor ihm – Udo hat eine Dekade im Fußball geprägt.” Auf Schalke allerdings nur eine halbe Saison – ein Vierteljahrhundert ist das schon her.