Im Moment des Erfolgs hatte Rodolfo Cardoso fast hellseherische Fähigkeiten bewiesen. "Ich glaube, ich sitze auch beim nächsten Spiel noch auf der Bank", sagte der Interimstrainer des Hamburger SV nach der starken Leistung seiner Mannschaft beim VfB Stuttgart (2:1). Eine Aussage, die zumindest für Irritationen sorgte. Schließlich galt am vergangenen Freitag die Verpflichtung von Huub Stevens als Nachfolger des erfolglosen Michael Oenning noch als nahezu perfekt.
Ungewissheit auf allen Ebenen
Doch dazu ist es bekanntlich nicht gekommen. Und so wird höchstwahrscheinlich Cardoso auch am Sonntag gegen Schalke 04 und Stevens (17.30 Uhr/Sky und Liga total!) auf der HSV-Bank sitzen. Die Trainersuche könnte eine Posse werden. Gebrochene Treueschwüre, überraschende Wendungen, verwirrende Widersprüche - bei der Fahndung nach einem Nachfolger für Oenning machen die HSV-Bosse nicht immer eine gute Figur.
Erst hatte Oenning eine Jobgarantie (Sportdirektor Frank Arnesen: "Michael sitzt im Flugzeug nach Stuttgart neben mir") bekommen, einen Tag später wurde er entlassen. Dann war Morten Olsen ein Kandidat, bis auffiel, dass Dänemarks Nationaltrainer "momentan nicht vor Ort" sein kann. Laut Vorstandschef Carl-Edgar Jarchow wurde mit Marco van Basten gesprochen. Komisch ist nur, dass der ehemalige Weltklasse-Stürmer davon nichts weiß ("Ich bin nicht angerufen worden").
Cardoso galt zunächst als Notlösung, bis sich der HSV entschied, bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) und dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) eine Sonderregelung für den Argentinier zu beantragen, der nicht im Besitz der nötigen Fußballlehrer-Lizenz ist. Die Bemühungen waren bisher vergeblich. Cardoso darf den HSV laut Statuten nur noch bis zum 10. Oktober trainieren. Plötzlich scheint eine Verpflichtung Olsens wieder möglich.
"Können noch mehrere Kandidaten dazukommen"
Arnesen bleibt trotz der nun schon zehn Tage andauernden Hängepartie zumindest äußerlich gelassen. "Wir haben kein fest gestecktes Zeitfenster. Es ist nicht so, dass wir nach dem Spiel gegen Schalke zwingend einen neuen Trainer vorstellen müssen", sagte der stets freundliche Däne, der als enger Vertrauter Olsens gilt. "Ich will einen Trainer, der sich 100 Prozent für unseren Verein entscheidet. Das ist das Gefühl, das ich haben muss. In den nächsten Wochen können noch mehrere Kandidaten dazukommen."
Die ungeklärte T-Frage ist beim HSV nicht die einzige wichtige Personal-Entscheidung mit bisweilen grotesken Zügen. Nach der Trennung von Dietmar Beiersdorfer suchte der Klub mehr als eineinhalb Jahre (!) lang einen neuen Sportdirektor und gab dabei ein rabenschwarzes Bild ab. Rund zehn Kandidaten wurden verschlissen und in der Öffentlichkeit diskutiert, bis Arnesen im Februar schließlich den Zuschlag bekam.
Der Sportchef will übrigens auch am Sonntag wie in Stuttgart neben Cardoso auf der Bank sitzen. "Und das wird diesmal auch wirklich so sein", sagte Arnesen, "außer ich bin vielleicht krank oder er." Zumindest den Humor haben sie in Hamburg noch nicht verloren.