BVB-Fans stimmten judenfeindliche Gesänge an , warfen in einem Bahnhof Böller und zogen die Notbremse – laut Bundespolizei 28 Mal. Im Online-Portal Vice berichtet ein Augenzeuge von der Fahrt mit dem Sonderzug nach Berlin und zurück. Er schildert eindrücklich, wie sich einige Fans, die zu einer Gruppe namens „0231 Riot“ gehören sollen, benommen hatten und wie eingeschüchtert andere Fans waren. Niemand habe eingegriffen, als antisemitische Lieder gesungen wurden. Auch bei weiteren Vorfällen im Zug gab es keine Gegenwehr.
Der BVB hat sich umgehend von den Vorfällen distanziert und ruft Zeugen auf, sich zu melden.
Was zunächst wirkt wie Feigheit, ist in Wahrheit reiner Selbstschutz. In zahlreichen Gesprächen schilderten in den vergangenen Monaten BVB-Fans, welche Entwicklung die Fanszene in der abgelaufenen Saison genommen hat. Im Blickpunkt steht eine neue Gruppe, die Gewalt ausübt und ein Verhalten von bisher beispielloser Rücksichts- und Skrupellosigkeit an den Tag legt. Das zeigte sich auch auf der Zugfahrt nach Berlin, als die Chaoten merkten, dass sie offenbar keine zusammenhängenden Plätze hatten. „Sie beanspruchten zwei Waggons für sich“, sagt ein Mitfahrer. Die Ansage sei klar gewesen: „Entweder ihr macht Platz, oder ihr fahrt nicht mit.“
Was es mit der neuen Dortmunder Ultra-Gruppe auf sich hat Wir haben die Informationen rund um die neue Gruppe gebündelt und beantworten die wichtigsten Fragen zur jüngsten Entwicklung in der Fanszene von Borussia Dortmund.
1. Wie heißt die Gruppe? Die neue Gruppe hat keinen offiziellen Namen. Das hat möglicherweise einen triftigen Grund: Im Januar 2015 urteilte der Bundesgerichtshof , Hooligan-Gruppierungen seien unter Umständen als kriminelle Vereinigung anzusehen. Somit stünde die bloße Mitgliedschaft in einer solchen Gruppe unter Strafe. Vielleicht rührt die Namenlosigkeit aber auch einfach daher, dass die Gruppe nicht greifbar sein und ihren eigenen Mythos pflegen will.
Auf Aufklebern, die im Dortmunder Kreuzviertel an zahlreichen Stellen kleben, prangen lediglich das Vereinsemblem des BVB und ein kleines „h“, das nicht nur für die Kleidermarke „Hooligan“ steht, sondern auch für den enstprechenden Lebensstil. Im Stadion präsentiert sich die Gruppe mit einem Banner, auf dem lediglich „Ultras“ steht und wieder eben jenes „h“ zu sehen ist. Inoffiziell heißt die Gruppe „0231 Riot“. Mitglieder treten auch oft mit T-Shirts mit der Dortmunder Vorwahl auf der Brust auf.
In anderen Fällen soll die schlichte Bezeichnung „die neue Gruppe“ gefallen sein. In Fankreisen wird sie auch „die vierte Gruppe“ genannt, da sie neben den drei existierenden Ultra-Gruppen „The Unity“, „Desperados“ und JuBos“ existiert. Spötter nannten die Gruppe anfangs auch „Vorwahl-Hools“ oder „Bad Bank der Fanszene“. Doch Lachen und Spott sind den meisten längst vergangen.
2. Wie setzt sich die Gruppe zusammen? Während der Bundesliga-Saison 2014/2015 kam es laut Informationen dieser Redaktion innerhalb der Dortmunder Ultra-Gruppe „Desperados“ zu einem bemerkenswerten Bruch. Die Riege der „Hauer und Scharfmacher“, wie es ein Szenekenner beschreibt, trat geschlossen aus der Gruppe aus, um sich einer neuen Gruppierung anzuschließen – daher auch der Spott-Name „Bad Bank“. Laut Schätzungen besteht die neue Gruppe mittlerweile aus 60 bis 80 Mitgliedern. Sie rekrutieren sich aus ehemaligen Mitgliedern der anderen Dortmunder Ultra-Gruppen, aber auch aus Externen, die offenbar einfach Lust auf Gewalt haben.
Zu den führenden Köpfen der neuen Gruppe sollen aktive Kämpfer der Mixed-Martial-Arts-Szene gehören, die in einer Dortmunder Arena aktiv sind, die neben knallhartem Kampfsport auch Zumba und Kindertanz im Angebot hat.
Im Sonderzug nach Berlin soll die Gruppe in Begleitung befreundeter Gruppierungen gewesen sein. So sollen die Riots gute Kontakte zu den RWE-Hools „Vandalz“ und nach Polen unterhalten.
3. Wodurch fällt die Gruppe auf? Erstmals trat die neue Gruppe beim BVB-Spiel gegen den Wolfsberger AC in der Qualifikation zur Europa League in Erscheinung und sorgte gleich für Ärger. Die Hooligans stellten sich in Block 13 auf die Plätze von alteingesessenen Fans und machten unmissverständlich klar, dass sie dort auch bleiben werden. Bei der BVB-Fanabteilung, beim BVB und auch in dieser Redaktion liefen Beschwerdemails von Fans auf, die unter Gewaltandrohung von ihren Stammplätzen verscheucht worden waren. Viele Betroffene haben Angst und klagen nur anonym ihr Leid. „Bei uns traut sich niemand, etwas zu sagen. Man bekommt sofort Schläge“, weiß jemand, der seinen Namen nicht lesen möchte.
Selbst abseits des unmittelbaren Fußball-Geschehens macht die Gruppe auf sich aufmerksam. Wer auch nur im Entferntesten nach Fußball-Fan aussieht, läuft Gefahr, angesprochen oder gar bedroht zu werden. Gerne brüsten sich die Hooligans dann damit, mit wem sie es schon aufgenommen haben – auch wenn das ihr Gegenüber überhaupt nicht interessiert.
4. Was sind die Ziele von 0231 Riot? Die Gruppe will laut Szene-Kennern so radikal wie möglich sein und das Gewaltmonopol in der Fanszene erlangen. Sie scheut vor niemandem zurück. Insbesondere scheint den Mitgliedern das neue Engagement des BVB gegen Rassismus und Rechts ein Dorn im Auge zu sein. Das bekam auch schon ein Fanbeauftragter der Borussia zu spüren , der sich besonders im Kampf gegen Rechts engagiert. Er wurde aufs Übelste beleidigt und bedroht.
Im BVB-Umfeld üben die Riots Druck auf die Personen und Gruppen aus, die in der Fanszene für einen klar antifaschistischen Kurs stehen und die mit dafür gesorgt haben, dass Antirassismus-Arbeit beim BVB inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden ist. Speziell bei Auswärtsspielen, wenn die Anzahl der BVB-Fans überschaubarer ist als bei Heimspielen, treten die Riots offen antifaschistisch eingestellten Fans auf die Füße und lassen im wahrsten Sinne die Muskeln spielen. Gezielt suchen sie offenbar auch die Nähe zu den anderen Ultra-Gruppen und üben Druck aus, um ein politisches Engagement der Fans zu ersticken. Sie hängen in den gleichen Kneipen ab oder fahren mit den Ultras im Sonderzug. Dabei ist es auch bereits zu Übergriffen der neuen Hooligans auf BVB-Ultras gekommen.
5. Handelt es sich bei 0231 Riot um Neonazis? Offiziell gibt sich die Gruppe unpolitisch, was im Hooligan-Sprech mittlerweile für einen klar rechtsradikalen Kurs steht. Denn unter Politik verstehen diese Gruppen in der Regel das Engagement gegen Rassismus und nicht die Diskussion über die nächste Steuerreform.
Die Riots scheinen zumindest offen für Rechte zu sein. Wichtiger ist ihnen aber offenbar, dass jemand kämpfen kann. So sei es bereits zu Schlägereien zwischen den Riots und den Alt-Hooligans der rechten Borussenfront gekommen. Und auch als Dortmunder Ultras nach dem Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach von Neonazis bedroht wurden , stellten sich die Riots gegen die Rechten.
Dennoch gibt es deutliche Hinweise auf enge Kontakte zur Nazi-Szene. So posierten Mitglieder der Gruppe unter anderem schon mit dem Besitzer des russischen Neonazi-Labels „Whiterex“, das mit bei Kämpfern der Mixed-Martial-Arts-Szene sehr beliebt ist. Ihr Trainer soll laut Berichten aus der Fanszene der Cage-Fighter Timo K. sein. K. trat im Jahr 2012 unrühmlich in Erscheinung, als er ein Solidaritäts-Banner für den damals frisch verbotenen Nationalen Widerstand Dortmund auf der Südtribüne präsentierte. Vor Gericht wurde er aufgrund einer Formalie freigesprochen.
6. Welche Vorfälle gab es bislang? Seit Beginn der Saison trat die Gruppe immer wieder in Erscheinung. Nicht immer gewalttätig, wohl aber einschüchternd. „Die sind bei jedem Spiel auf der Suche nach Gegnern“, sagt ein Szene-Beobachter. Fans anderer Vereine müssten inzwischen ausdrücklich vor der neuen Gruppe gewarnt werden.
Es ist davon die Rede, dass die Riots sowohl innerhalb der eigenen Fanszene als auch nach außen äußerst gewalttätig vorgehen. Die Spruchband-Aktion gegen einen BVB-Fanbeauftragten, die sich über mehrere Wochen zog, ist da schon beinahe als subtil zu bezeichnen. Allerdings liefen auch diese Aktionen nicht gewaltlos ab. Umstehende Fans erzählen, sie seien gezwungen worden, die Banner mit in die Höhe zu halten. Andere seien von den Hooligans einfach überrannt worden.
Viele Vorfälle kommen überhaupt nicht ans Licht der Öffentlichkeit, da sie sich innerhalb der Ultraszene abspielen. Deren Kodex verbietet es allerdings, Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Somit dürften nicht allzu viele Vorfälle, an denen die Riots beteiligt waren, auch wirklich aktenkundig sein.
Szene-Kenner schreiben der Gruppe oder Teilen davon folgende Vorfälle zu: ein Angriff auf Schalke-Fans am Dortmunder Flughafen eine Attacke vermummter Dortmunder auf Schalke-Fans in Herne eine Massenschlägerei mit Schalkern auf einem Autobahnparkplatz bei Montabaur ein Überfall auf einen Fan auf dem Rheinischen Esel in Witten regelmäßige Verabredungen und Schlägereien mit gleichgesinnten Gruppierungen bei BVB-Spielen im In- und Ausland ein Überfall auf Ultras des FC Sion in Porto. Laut eines Posts auf Instagram hielten die Riots einige Sion-Ultras in einer U-Bahn fest und zwangen sie, sich Aufkleber der Gruppe auf die Stirn zu pappen und für Fotos zu posieren. Erst nach einer Weile ließen sie die Schweizer ziehen. Ende Oktober 2015 lieferte sich die Gruppe am Osnabrücker Hauptbahnhof eine heftige Schlacht mit Anhängern von Holstein Kiel. Von 270 Fans stellte die Polizei die Personalien fest, darunter 60 bis 70 Dortmunder. Zwar hätten Zeugen die Ausschreitungen gefilmt, seien von Dortmundern aber genötigt worden, die Aufnahmen zu löschen.
Laut Berichten machten die Riots am 13. März 2016 nach dem Heimspiel des BVB gegen Mainz Jagd auf eine Gruppe Mainzer Ultras. Im Kreuzviertel sei es dabei zu einem Überfall auf die Mainzer gekommen, der auch einen Polizeieinsatz nach sich zog. Eine ähnliche Aktion wie mit den Sion-Ultras sollen die Riots auch mit jungen Fans aus dem Umfeld der Schalker Ultraszene durchgezogen haben.
Dass so oft Schalker zum Ziel der Angriffe werden, ist offenbar kein Zufall. Laut Informationen dieser Redaktion ist der Kampf gegen Schalke Teil der Gruppen-Identität. Nach dem Vorfall präsentierte die Gruppe auf der Südtribüne ein Banner mit der Aufschrift „Schalker sein, heißt Probleme kriegen“ - eine klare Kampfansage.
7. Wie reagieren der BVB und die Polizei auf die Entwicklung? Der BVB äußerst sich nicht zu den Taten der Gruppe. Selbst wenn die Hooligans mit Spruchbändern gegen einen BVB-Fanbeauftragten ätzen, ist es für den Verein schwer, die Täter zu identifizieren und aus dem Stadion zu verbannen. So kam es in einigen Fällen dazu, dass völlig unbeteiligte Fans notgedrungen hinter üblen Spruchbändern der Riots zu sehen waren. Borussia Dortmund zeigte sich in einer Mitteilung „erschrocken“. Dabei klang der BVB so hilflos, wie er es womöglich tatsächlich ist.
Die Gruppe ist für die Borussia nicht greifbar. Allerdings gebe es auch keine Unterstützung, etwa in Form von Ticket-Kontingenten. Gleichwohl habe der Klub die Gruppe im Blick und werde jede nachgewiesene Straftat mit Stadionverbot ahnden. Doch der Nachweis fällt oft schwer, insbesondere wenn die Straftaten weitab vom Stadion begangen werden oder die Gruppe nur am Rande der Legalität agiert. Noch hat die Gruppe keine Gründe für etwaige Stadionverbote geliefert. Und solange sich Fans nicht trauen, sich offen über die Gruppe zu beschweren, fehlt dem Klub die Handhabe.
Auch die Polizei stochert in Bezug auf die Riots im Nebel – zumindest offiziell. Ja, es sei bekannt, dass es eine neue Entwicklung gebe. Beispielsweise sei noch nicht klar, ob es sich auch im strafrechtlichen Sinne um eine Gruppe handele. Noch sei zu wenig bekannt. „Wir haben das im Blick“, so eine Polizeisprecherin.
8. Wie geht es weiter? Die Riot-Gruppe verbreitet Angst und schüchtert normale Fans und die übrigen Ultra-Gruppen ein. Wie es mit der Gruppe weitergeht, hängt aber ganz besonders von den Ultras ab. Die haben, so die Einschätzung von Kennern der Szene, aber nicht die Mittel, um sich gegen die erfahrenen Kämpfer zur Wehr zu setzen. In der Szene wird befürchtet, dass sich die Ultras mit der neuen Situation arrangieren, ihr politisches Engagement zurückfahren und die vierte Gruppe gewähren lassen – auch um handfeste Konflikte zu vermeiden. Bei Auswärtsspielen hängen die Fahnen der Ultragruppen und das auffällige „Ultras“-Banner mit dem Hooligan-„h“ allzu oft einträchtig nebeneinander.
Die Polizei hingegen wird erst dann aktiv gegen die Gruppe vorgehen, wenn Anzeigen vorliegen. Straftaten gibt es offenbar genug, doch die werden wegen des Ultra-Kodexes nicht gemeldet. Vielleicht waren die Ausschreitungen im Sonderzug nach Berlin ein entscheidender Anstoß für die übrigen Ultras, um sich von der vierten Gruppe zu distanzieren. Denn um die Schäden an den Waggons sind allein wegen der Notbremsungen enorm. Die 3000 Euro Kaution reiche nicht aus, um die Schäden zu begleichen, so ein Sprecher des Sonderzuganbieters. Nun droht der Veranstalter der Zugfahrt auf den Kosten sitzen zu bleiben – und bei Geld hört ja bekanntlich die Freundschaft auf.