Das weltweit bestaunte 7:1 im WM-Halbfinale, das den gedemütigten Gastgeber Brasilien im Schockzustand zurücklässt, löste Glücksgefühle aus, aber keine grenzenlose Euphorie. "Ne, ne, ne, wir haben uns jetzt gegenseitig schon gebremst", berichtete Miroslav Klose nach dem Wahnsinnsspiel gegen den Rekordweltmeister, der als ein Jahrhundertereignis in die ruhmreiche Geschichte des deutschen Fußballs eingehen wird.
So unglaublich abgebrüht und fokussiert, wie seine Mannschaft auf dem Spielfeld das in Panik geratene brasilianische Team demontiert hatte, blieb auch Joachim Löw nach dem größten Sieg in seiner achtjährigen Amtszeit als Bundestrainer. "Man sollte das Ergebnis jetzt auch nicht zu hoch hängen. Wir müssen jetzt Demut haben und uns mit aller Ruhe vorbereiten auf das Finale", sagte der 54-Jährige und mahnte mit Blick auf das große Endspiel am Sonntag in Rio de Janeiro gegen Argentinien oder Holland: "Niemand sollte sich unbesiegbar fühlen."
Erfreut konnte der Chef der deutschen Titelmission auf der Heimreise aus Belo Horizonte ins Campo Bahia feststellen, dass "kein völliges Abgehobensein" bei seinem Team eingetreten war. Diese gereifte Mannschaft sei "geerdet" und wisse, dass der letzte Schritt zur Krönung noch ausstehe: "Ich glaube, dass diese Mannschaft unbedingt bereit ist, das Finale jetzt auch zu gewinnen." Der herausragende Toni Kroos, der nach seinem 50. Länderspiel als "Man of the Match" ausgezeichnet wurde, bestätigte seinen Chef umgehend: "Weltmeister ist noch niemand im Halbfinale geworden."
Je zweimal Kroos und "Joker" André Schürrle, dazu der nun alleinige Rekordhalter Miroslav Klose mit seinem 16. WM-Tor, Thomas Müller mit Turniertreffer Nummer fünf und Sami Khedira ließen Brasilien auf heimischem Boden leiden wie nie zuvor. Der entzauberte Champion-Trainer Luiz Felipe Scolari sprach von "der schlimmsten Niederlage aller Zeiten" gegen eine "phantastische deutsche Mannschaft". Seine Botschaft an das 200-Millionen-Volk lautete: "Bitte entschuldigt diesen Fehler!" Die Sportzeitung "Lance!" schrieb entsetzt von der "größten Schande in der Geschichte" des brasilianischen Fußballs. Nie zuvor verlor der fünfmalige Weltmeister so hoch.
Dass sie Geschichte geschrieben haben ausgerechnet am 24. Jahrestag des dritten und letzten deutschen Titelgewinns, beeindruckte die möglichen Nachfolger der 90er-Weltmeister um Lothar Matthäus nicht übermäßig. "Sonntag können wir Geschichte schreiben", entgegnete Jérome Boateng. "Jetzt müssen wir noch einmal durchziehen, Vollgas geben und uns das Ding holen", lautete die klare Ansage von Torjäger Müller.
"Nach dem Ergebnis ist klar, dass alle sagen, Deutschland ist Favorit", bemerkte Boateng. Trotzdem betonte Torwart Manuel Neuer, der ganz zum Schluss noch von Brasiliens Offensivmann Oscar bezwungen wurde: "Dieses Ergebnis ist sehr extrem, aber auch das Finale fängt bei nullnull an."
Gespannt wurde der Blick auf das zweite Halbfinale am Mittwochabend zwischen Holland und Argentinien gerichtet. "Beide haben eine sehr gute WM gespielt, haben überragende Spieler in ihren Reihen", äußerte Löw voller Respekt und prophezeite: "So ein Spiel wie das Halbfinale kann und wird es nicht werden. Der Gegner wird sich im Finale gegen uns ganz anders präsentieren."
Im Maracanã könnte Deutschland als erstes Team aus Europa bei einer WM in Südamerika triumphieren: "Mir ist wurscht, wo ich Weltmeister werde, Hauptsache, wir werden es", meinte Kroos.