Vor zwei Jahren zählte der 20-Jährige vor der EM in Polen und der Ukraine zu den Streichkandidaten, die nach der Vorbereitung in Südfrankreich von Bundestrainer Joachim Löw aussortiert wurden. Vor der WM in Brasilien schaffte der erneut als Wackelkandidat gehandelte Schalker zwar den Sprung in das 23-köpfige DFB-Aufgebot, zufrieden kann er mit sich und der Welt aber nicht sein.
Denn die drei Vorrundenspiele erlebte Draxler allesamt auf der Ersatzbank - und Besserung ist nicht in Sicht. "Ich hoffe natürlich, dass ich bei der WM auch spielen kann", hatte das von vielen europäischen Topklubs umworbene Schalke-Juwel vor der Abreise gesagt. Angesichts des Überangebotes an offensiven Mittelfeldspielern muss sich Draxler aber mit der Rolle des WM-Touristen anfreunden. Da tröstet es wenig, dass er dieses Schicksal derzeit mit sechs Kollegen teilt.
Dass die beiden Ersatztorhüter Roman Weidenfeller (33) und Ron-Robert Zieler (25) im Normalfall keine Chance auf einen Einsatz haben, war nach der rechtzeitigen Genesung von Manuel Neuer (28) abzusehen. Dass aber vor dem Achtelfinale gegen Algerien am Montag in Porto Alegre ebenso wie Draxler auch Kevin Großkreutz (25), Matthias Ginther (20), Erik Durm (22) und Christoph Kramer (23) eine reine Statistenrolle zufällt, war nicht unbedingt zu erwarten.
Diese Feldspieler sind alles Kandidaten für den Günter-Hermann-Gedächtnis Preis. Der 53 Jahre alte Ex-Bremer wurde 1990 Weltmeister, ohne eine einzige Sekunde gespielt zu haben, und gilt seitdem als Inbegriff des WM-Touristen. Vor vier Jahren in Südafrika, als die deutsche Mannschaft einschließlich des Spiels um Platz drei auf die Maximalzahl von sieben Begegnungen kam, blieb nur Torwart Tim Wiese ohne Einsatz. Bei der Heim-WM 2006 traf es in Timo Hildebrand ebenfalls einen Torwart.
Sollte Deutschland einmal mehr im kleinen Finale um die goldene Ananas spielen, dürfte wohl auch der spätberufene Oldie Weidenfeller dank seines vorbildlichen Verhaltens mit seinem ersten WM-Einsatz seine kurze Karriere im DFB-Team beenden. 2006 hatten unter Bundestrainer Jürgen Klinsmann in Ex-Kapitän Oliver Kahn und in Südafrika unter dessen Nachfolger Joachim Löw Jörg Butt ebenfalls zwei Keeper ihr "Gnadenbrot" erhalten.
Ansonsten deutet bei der deutschen Mannschaft nichts darauf hin, dass Löw noch einmal kräftig rotieren und den bisherigen Bankdrückern eine Chance geben wird. Denn unter Löw gab es noch nie eine solch ausgeprägte Hierarchie wie in Brasilien. Der 54-Jährige zählt letztendlich auf 16 Spieler, der Rest scheint nur schmückendes Beiwerk zu sein.
In den ersten beiden Gruppenspielen gegen Portugal (4:0) und Ghana (2:2) schenkte Löw jeweils derselben Startelf das Vertrauen. André Schürrle und Lukas Podolski wurden gegen die Seleccao eingewechselt, gegen die Afrikaner Miroslav Klose und Bastian Schweinsteiger. Der für Marco Reus nachgerückte WM-Debütant Shkodran Mustafi war in diesen beiden Spielen jeweils Ersatz für die verletzten Mats Hummels bzw. Jerome Boateng. Gegen die USA begannen dann mal Klose und Schweinsteiger für Khedira und Götze. Götze, Klose und Schürrle kamen von der Bank.
Dass Löw ausgerechnet in der K.o.-Phase noch einen "Joker" aus dem Hut zaubert, ist nicht zu erwarten. "Wir haben unterschiedliche Lösungen und unterschiedliche Spielertypen. Man brauche immer 14 Akteure pro Spiel, die dem Spiel noch mal eine Wende geben können", lautet das Credo des Bundestrainers.
Die Rolle des Edeljokers, die Rekordtorjäger Klose bei seinem vierten WM-Turnier erstmals einnimmt, ist dabei noch ein geringeres Übel als das Schicksal von Großkreutz und Co. "Jeder von uns will spielen. Das ist, glaube ich, auch bei denen, die draußen sitzen, das Entscheidende", sagte der 36-Jährige. Klose bezog sich dabei aber auf Podolski, Schweinsteiger, Khedira, Götze oder Schürrle und natürlich auf sich selbst. Von einem Erik Durm oder Kevin Großkreutz war nicht die Rede.