Vor der wegweisenden Begegnung am heutigen Freitag in Bern (20.45 Uhr/live in der ARD) zwischen Frankreich und den hochgelobten Niederländern könnte die Ausgangslage kaum unterschiedlicher sein. Während bei der "Equipe Tricolore" nach dem Stotterstart schon alles in Frage gestellt wird, träumt "Oranje" vom zweiten EM-Titel nach 1988.
Mit einem erneuten Sieg könnten die Niederländer schon das Viertelfinal-Ticket lösen - was Raymond Domenech selbstredend mit aller Macht verhindern will. Der vielkritisierte Nationaltrainer der Franzosen wirbelt deshalb die Mannschaft kräftig durcheinander. Aus dem 4-4-2- wird ein 4-2-3-1-System, Franck Ribery von Bayern München übernimmt die Chefrolle im Mittelfeld - und bis zu vier neue Spieler könnten nach dem müden Rumänien-Spiel (0:0) ins Team kommen.
In den vergangenen Tagen herrschte großer Gesprächsbedarf bei den Franzosen. Die Spieler kritisierten die Taktik des Trainers, der Trainer die Leistung der Spieler. In einem Punkt sind sich aber alle einig: Noch einen Ausrutscher dürfen sie sich nicht erlauben. "Wir haben jetzt nur noch Pokalspiele. Man müsste in dieser Gruppe dumm sein, um sich sicher zu fühlen", sagte Domenech. Vor ein paar Wochen hörte sich das bei dem 56-Jährigen noch ganz anders an. Da ging es für ihn nur darum, wer im Endspiel gegen seine Mannschaft verliert. Inzwischen wäre Domenech froh, käme er zunächst einmal mit sich und seinen Spielern ins Reine. "Ich zögere noch bei vier Positionen, aber ich bin kein Henker", erklärte der Trainer. Sorgen um ihren Stammplatz müssen sich insbesondere die Außenverteidiger Willy Sagnol und Eric Abidal machen. "Niemand verbietet es den Verteidigern, über die Mittellinie zu gehen", kritisierte Domenech.
Dabei ist die Defensive eigentlich nicht das Problem, seit 460 Minuten hat der Weltmeister von 1998 keinen Gegentreffer kassiert. Vielmehr bereitet den Franzosen das Toreschießen Probleme. Mickrige vier Treffer erzielten sie in ihren bisherigen sechs Länderspielen des Jahres 2008. Abhilfe schaffen soll Thierry Henry, der nach überstandener Knöchelprellung und Gesäßmuskelzerrung für Nicolas Anelka stürmen soll. Ein Stürmerproblem der anderen Art haben die Niederländer. Bei der Elftal bereitet das Überangebot an Offensivkräften Bondscoach Marco van Basten ("Ein Luxusproblem") Kopfzerbrechen. Wesley Sneijder hat dagegen seinen Platz im Team sicher, und der Profi von Real Madrid schielt nach der magischen Nacht beim 3:0 gegen Weltmeister Italien bereits Richtung Titel: "Wir müssen vor niemandem Angst haben. Wir wollen ins Finale und dort den Titel holen. Dieses Team kann alles erreichen."
Die Euphorie in Holland ist grenzenlos, zum Spiel gegen die Franzosen werden 50.000 Fans in Bern erwartet. Karten für die Begegnung besitzen aber nur 6000 Anhänger. Van Basten will vom Titel-Gerede (noch) nichts wissen: "Nach einem Spiel ist man nicht gleich EM-Favorit. Es ist noch ein weiter Weg zu gehen."
Dass das Spiel der Franzosen gegen Rumänien "kein Spektakel" war, erkannte auch van Basten, dennoch warnt der Bondscoach: "Italien und Frankreich sind nicht vergleichbar - andere Spieler, anderes System. Frankreich ist eines der stärksten Teams der letzten zehn Jahre."