Wie ein Bodyguard schirmt ein Mitarbeiter der DFB-Pressestelle den blassen Kapitän der deutschen Nationalmannschaft in den Katakomben des Stade Velodrome vor den zahlreichen Kameras, Mikrofonen und Aufnahmegeräten ab. An einer Stelle, an der ein ganzer Pulk von Medienvertretern wartet, halten Schweinsteiger und sein Sicherheitschef. „Drei Fragen“, sagt der Bodyguard. „Mehr nicht.“
Kein schönes Jubiläum
Eine gute Stunde zuvor hatte Schweinsteiger gegen EM-Gastgeber Frankreich sein 120. Länderspiel absolviert. Nur drei Deutsche haben mehr. Der 31 Jahre alte Haudegen stand in 38 EM- und WM-Spielen auf dem Platz. Europarekord. Er war bei sechs Turnier-Halbfinalspielen dabei, stand in zwei Endspielen von Anfang an auf dem Rasen. Und jetzt, um kurz nach Mitternacht, soll diese epische Karriere in drei Fragen im Keller des Stadions in Marseille zusammengefasst werden?
Die erste Frage: Wie konnte das Handspiel passieren, das ein bis dahin tolles EM-Halbfinale kippen ließ? Schweinsteiger zögert nur kurz. Dann sagt er: „Der Ball war anders als sonst bei einer Ecke gespielt.“ Im Kopfballduell mit Patrick Evra war Schweinsteigers Hand in der angesprochenen Szene zum Ball gegangen, was laut Regelwerk zweifelsohne einen Strafstoß nach sich zieht. „Ich weiß nicht, ob Sie schon mal Fußball gespielt haben“, sagt Schweinsteiger zum Fragesteller. „Man kann nur schwer erklären, wieso das passiert. Aber mit Reaktion und Reflexen passiert so etwas eben. Und es passiert in einem Moment, in dem wir klar die bessere Mannschaft waren.“
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Schweinsteiger war als 19-Jähriger dabei, als die Mannschaft noch nicht die Mannschaft hieß und 2004 in Portugal unter die Räder geriet. Zwei Jahre später war Schweinsteiger eines der Aushängeschilder der Generation Sommermärchen. Der gebürtige Bayer brillierte bei der WM 2010, schleppte sich durch die EM 2012 und erkämpfte 2014 den WM-Titel in Brasilien. 2016 war Schweinsteiger erstmals bei einem Turnier Kapitän. Das alles ist in der Gegenwart von Marseille Vergangenheit. Aber wie sieht die Zunkunft aus?
„Die Zukunft ist immer spannend“, sagt Oliver Bierhoff, der 20 Minuten vor Schweinsteiger durch den Bauch des Velodromes spazierte. „Wir haben mit Basti darüber noch nicht gesprochen. Jeder braucht zunächst Abstand.“
Drei Fragen an Schweinsteiger
Doch der passende Abstand fällt nicht immer leicht. Trotz seines eigenen Presse-Bodyguards wächst die Menschentraube um den grauen Schweinsteiger zunehmend an. Zum Elfmeter, dem unglücklichen Handspiel und den Konsequenzen ist alles gesagt. Nun ist der Zeitpunkt für die zweite Frage gekommen. Die Frage, auf die alle gewartet haben: „Wenn wir nur drei Fragen haben“, sagt ein mutiger Fragesteller, „dann muss ich Sie nun ganz direkt fragen: Herr Schweinsteiger, war das heute Ihr letztes Spiel in der Nationalmannschaft?“
Der Moment zwischen Frage und Antwort dauert neun Sekunden. Es ist eine neun Sekunden lange Ewigkeit.
Als Schweinsteiger endlich zu sich gekommen ist, wird seine Stimme leise. „Ich habe da noch nicht drüber nachgedacht“, sagt schließlich Deutschlands ältester Nationalspieler, in dessen Rücken in diesem Moment Lukas Podolski freundlich grüßend vorbei läuft. Der zweite Teil der Sommermärchen-Combo, erneut mit einer rot-weißen FC-Köln-Mütze dekoriert, überrascht später mit dem Bekenntnis, „auf jeden Fall“ weiter machen zu wollen.
Schweinsteiger scheint sich in diesem Moment sehr wohl verstecken zu wollen: „Ich habe bewusst meine ganze Energie in dieses Turnier reingelegt“, sagt er leise. „Nach den zwei Verletzungen war das nicht so einfach. Jetzt muss ich auch erstmal das Ausscheiden verkraften.“ Wieder eine dramatische Pause. „Doch der Weg der Mannschaft geht auf jeden Fall weiter.“ Eine letzte Pause, dann wiederholt er: „Ich persönlich muss jetzt erst einmal Abstand gewinnen.“
Nun ist es endgültig still. Erneut vergehen ein paar Sekunden, dann er-greift Schweinsteiger noch ein letztes Mal an diesem Abend das Wort: „War es das jetzt?“, fragt er – und geht. Eine dritte Frage stellt keiner mehr.