Als Hans Fingernagel am Dienstag im fernen Rosenheim die Zeitung las, wusste er sofort Bescheid. „Jetzt muss der Jule spielen“, sei sein erster Gedanke gewesen, sagt der 54-Jährige. Sein zweiter Gedanke: „Der arme Basti.“
Der arme Basti ist Bastian Schweinsteiger, Jule ist Julian Weigl. Und Hans Fingernagel kennt sie beide. „Beim Basti ist das schon eine ganze Weile her, beim Jule kommt es mir wie gestern vor“, sagt der Bayer, der bis 2013 Jugendleiter des TSV 1860 Rosenheim war. 1860 Rosenheim, das ist der Verein, in dem sowohl Schweinsteiger (1992 bis 1998) als auch Weigl (2006 bis 2010) Fußballspielen lernten.
„Es macht einen natürlich stolz“, sagt Fingernagel, „dass zwei Rosenheimer in Frankreich für die Nationalmannschaft um den EM-Titel mitspielen.“ Nimmt man es genau, dürfte am Donnerstag im Halbfinale gegen Gastgeber Frankreich ein 60er auf den Platz stehen. Rosenheimer Schweinsteiger ist verletzt, Rosenheimer Weigl soll ihn ersetzen. So sieht es zumindest Hans Fingernagel: „Der Jule passt doch perfekt zum deutschen Spiel und zum Toni Kroos. Er ist ball- und passsicher, macht wenig Fehler.“
Der Bundestrainer Joachim Löw sieht die Sachlage ähnlich. „Julian Weigl ist ein ganz ausgezeichneter Techniker. Er macht die Passwege zu, hat ein ganz hervorragendes Positionsverhalten, und er ist unglaublich sicher am Ball“, lobhudelt Löw, der offen lässt, wen er im Fall von Schweinsteigers Ausfalls bringt: den Dortmunder Weigl – oder doch den Liverpooler Emre Can, der in der Saison 2012/13 mit Schweinsteiger bei den Bayern zusammengespielt hat. „Die beiden sind ganz unterschiedliche Spielertypen“, sagt Löw. „Aber beiden würde ich ohne Probleme gegen Frankreich das Vertrauen schenken.“
Julian Weigl ist ein ganz ausgezeichneter Techniker. Er macht die Passwege zu, hat ein ganz hervorragendes Positionsverhalten, und er ist unglaublich sicher am Ball
Joachim Löw
Bei 1860 München wurde Weigl Führungsspieler und Kapitän, ehe er seine Kapitänsbinde nach einer nächtlichen Taxifahrt (mit Lästereien über die Vereinsführung) auch schnell wieder abgeben musste. Wirklich geschadet hat ihm das nicht. „Mit dem Taxi ins Rampenlicht“ titelte die „SZ“ nach Weigls Wechsel zu Dortmund.
Ein Geheimnis, wer immer sein Vorbild war, macht er nicht: „Als ich noch bei 1860 gesagt habe, der Schweini ist mein Vorbild, habe ich immer auf den Deckel bekommen“, erinnert er sich. „Ich habe mir viel von ihm abgeguckt, er hat eine unglaubliche Übersicht. Er ist immer ein Kämpfer und Kapitän.“