Es sah schwer nach Abschied aus. Marc Wilmots stand mit den Händen in den Hosentaschen im Regen von Lille und wartete auf seine Spieler. Als sie schließlich mit hängenden Köpfen in die Kabine schlichen, verabschiedete der Trainer jeden einzelnen per Handschlag. Das EM-Aus der belgischen Fußballer im Viertelfinale dürfte gleichzeitig das Ende der Ära Wilmots gewesen sein - auch wenn das "Kampfschwein" nicht direkt nach dem 1:3 (1:1) gegen den Debütanten Wales aufgeben wollte.
"Ich werde meine Entscheidung nicht sofort treffen. Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken", sagte der müde und frustriert wirkende 47-Jährige kurz vor Mitternacht. Dann verließ er den stickigen Presseraum durch einen Seitenausgang. Wilmots, seit rund vier Jahren im Amt, hat noch bis 2018 Vertrag, doch es waren wahrscheinlich seine letzten Worte als Coach der Roten Teufel, die ihrer Rolle als Mitfavorit bei der Endrunde nicht gerecht wurden.
Fans treten noch in der Nacht die Heimreise an
Die 150.000 Fans, die zum Feiern aus Belgien ins nahe Lille gekommen waren, traten noch in der Nacht enttäuscht die Heimreise an. Das hochgehandelte Starensemble um Kevin De Bruyne, Eden Hazard und Thibaut Courtois folgte mit den Betreuern am Samstagmorgen. Dabei wurden die Rückkehrer von Schlagzeilen empfangen, die sie zu Versagern abstempelten. Die Zeitung De Morgen hatte eine "erniedrigende Niederlage" gesehen, das Blatt Het Laatste Nieuws schrieb sogar von "einer Schande" - und stellte die entscheidende Frage gleich mit in den Raum: "Adieu Wilmots?"
Die Antwort darauf gaben im Grunde die Spieler. Nach dem Aus wurde erneut deutlich, dass sich tiefe Gräben durch das Team ziehen. Es gibt das Lager der Wilmots-Freunde um Ersatzkapitän Hazard, das der Wilmots-Gegner mit Torwart Courtois, und das der Unentschlossenen, zu denen De Bruyne gehört. Mehr denn je drängte sich der Eindruck auf, dass die Mannschaft seit der EM-Absage von Anführer Vincent Kompany (Leistenverletzung) nicht mehr zusammengefunden hat - sie wirkte wie ein Spiegelbild des zerstrittenen Landes.
So griff Courtois wie schon nach der Auftaktpleite gegen Italien (0:2) den Trainer an, er bemängelte taktische Fehler. "Ich muss meine Worte vorsichtig wählen, denn ich will nicht alles zerstören", sagte der Keeper des FC Chelsea: "Aber was ich zu sagen hatte, habe ich in der Kabine gesagt. Das ist die größte Enttäuschung in meiner Karriere."
Hazard dagegen nahm Wilmots, dem schon seit längerer Zeit das Interesse an einem Trainerjob in China nachgesagt wird, in Schutz. "Wir stehen alle hinter ihm. Wir hoffen, dass er weitermacht und wir zusammen in der Zukunft noch großartige Dinge erreichen", sagte der Klubkollege von Courtois - wohl ohne Kenntnis der Aussagen des Torhüters.
Der frühere Bundesligastar De Bruyne wollte mit Blick auf Wilmots nicht konkret werden. Der erneut schwache Ex-Wolfsburger richtete seinen Fokus auf die Mannschaft. "Wir haben bei der EM nicht unsere beste Leistung abgerufen", sagte De Bruyne: "Wir müssen besser werden, wenn wir bei der WM in zwei Jahren etwas holen wollen."
Dass Wilmots in Russland an der Seitenlinie stehen wird, glaubt der frühere Schalker wohl selbst nicht mehr. Vielleicht klangen seine Aussagen auch deshalb wie ein Fazit seiner Arbeit. "Am Ende bin ich verantwortlich", sagte der Coach, der mit den Belgiern schon vor zwei Jahren bei der WM in Brasilien im Viertelfinale gescheitert war (0:1 gegen Argentinien): "Aber ich bin sicher, dass wir aus dieser Niederlage lernen werden. Also ist nicht alles verloren."