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Ultras Essen: Interview
"Was uns ärgert, ist die Pseudo-Moral"

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Ultras Essen: Letzter Teil des großen Interviews
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Im letzten Teil unseres großen Interviews mit den Ultras Essens sprachen wir über Pyrotechnik, 12:12 und die Faszination der Ultra-Bewegung.

Nach einem Böllerwurf im Spiel gegen Lotte habt auch ihr euch recht klar gegen die Aktion positioniert. Pyrotechnik lehnt ihr aber nicht ab. Wo zieht ihr da die Grenze?

Zugegeben, die Grenze ist schwierig zu definieren, eben auch weil das Thema „Pyro“ generell momentan hoch aufgehängt wird. Wo wir damit auch beim Thema sind. Man muss sich hier einfach den Wandel der Zeit bzw. die veränderte Wahrnehmung und Bewertung von Pyrotechnik anschauen. Bezogen auf die Hafenstraße können wir festhalten, dass dort bengalische Fackeln schon weit vor Entstehung unserer Gruppe gezündet wurden. Gerade die Älteren unserer Gruppe berichten unseren jüngeren Mitgliedern gerne mal von der Zeit, als es noch ganz normal war, dass das Georg-Melches-Stadion von 15 Bengalos eingetaucht war, wenn die Mannschaften freitags unter Flutlicht den Rasen betraten. Die Jüngeren sitzen dann immer mit großen Augen da und können es gar nicht glauben. Früher sprach halt jeder von der tollen Stimmung wenn Bengalos brannten, aus dieser Zeit stammt zum Beispiel das Zitat von Rolf Töpperwien, als er sagte „[...] ein Begrüßung, wie ich sie in 23 Berufsjahren, außer Mexiko City, Aztekenstadion, noch nie erlebt habe!“ - im Hintergrund brannten ein dutzend Bengalen. Heute würde man wohl als „Taliban des Fußballs“ oder „unverbesserliche Chaoten“ bezeichnet werden. Dabei hat sich die Idee hinter der Pyrotechnik als Teil der Fankultur seitdem nicht verändert, nur der Blick von außen ist ein anderer. Das Bild der Pyrotechnik hat sich demnach über die Jahre in der Außendarstellung komplett gewandelt und über die Macht der Medien brauchen wir wohl nicht sprechen. Das Thema hatten wir ja schon. Wenn heute auf Seite eins der Bildzeitung steht, dass Pyro doof ist, ist Pyro halt doof. Unterm Strich sind irgendwann Leute aufgetreten und haben für sich und damit für die deutsche Fanlandschaft beschlossen, das Pyro verboten sei und damit auch geahndet wird. Quasi von heute auf morgen und ohne mit den Fans darüber gesprochen zu haben. Vorher hat es keinen gejuckt bzw. zählte zur Normalität in den Stadien und heute wird halt vom Publikum gepfiffen und der Verband spricht eine Strafe aus sobald es brennt. Dass das nicht jeder so hinnimmt und es auch Leute gibt, die nicht nach der Pfeife von anderen tanzen und sich etwas vordiktieren lassen, hätte eigentlich klar sein müssen. Was uns dabei nur ärgert, ist die Pseudomoral, die dabei an den Tag gelegt wird. Bei internationalen Spielen wird von südländischer Atmosphäre gesprochen, wenn Anhänger ausländischer Vereine zünden und auch so manches Plakat für die Sportschau beinhaltete schon Pyrotechnik als „Heißmacher“ für die neue Saison. Und auch innerhalb der Fanszene ist die Meinung absolut absurd: Wenn man an den Abschied des GMS denkt, den wir mit Bengalos hinter einer transparenten Folie würdig begangen haben, oder die Bengalo-Aktion zum 100-jährigen Bestehen unseres Vereins, da heißt es immer „Tolle Bilder, super, Gänsehaut!“. Wird der Verein dann aber mal zur Kasse gebeten, weil sich in Frankfurt Leute aus der DFB-Zentrale genötigt fühlen das als „Randale“ abzustempeln, heißt es immer „Diese scheiß Ultras, wieder muss der Verein von dem wenigen Geld auch noch eine Geldstrafe für diese Chaoten zahlen!“ Das ist nicht konsequent. Auch nicht von den jeweiligen Vereinen, die zum Beispiel Poster vermarkten, auf denen Pyro zu sehen ist, aber es öffentlich verteufeln bzw. nicht daran interessiert sind, diese legal im Stadion benutzen zu lassen. Positive Beispiele gäbe es genug, wo Verein und Fans solche Möglichkeiten nutzen. Es fehlt da aber vielen der Arsch in der Hose auch mal zu sagen „Wir machen mal was, was in der Öffentlichkeit vielleicht komisch ankommt!“ Für uns gehört Pyrotechnik jedenfalls ganz klar als ein Teil der Fankultur dazu. In Essen war Pyrotechnik weit vor unserem aktiven Fanleben ein Stilmittel der Stimmung und machte schon so manche Spiele zu etwas besonderem. Wir versuchen dies weiter aufrecht zu halten und kämpfen daher für ein legales und sicheres Abbrennen. Es hat damals geklappt und wir sind uns sicher, dass auch nach heutigen Gegebenheiten die Möglichkeiten vorhanden sind. Man muss nur mal knapp über die Grenze nach Österreich schauen, wo nach wie vor eine lebendige Kultur der Pyrotechnik in den Stadien gelebt wird. Wieso klappt es da und hier nicht? Solange Pyrotechnik aber weiterhin kriminalisiert wird, werden auch immer Fackeln auf den Boden gelegt und / oder nicht ordnungsgemäß entsorgt. Dies birgt eine Gefahr, welche durch legales und nicht verfolgtes Abbrennen auf ein Minimum reduziert werden könnte. Wir sprechen uns daher auch ganz klar gegen einen Missbrauch, wie er zum Beispiel durch Werfen eines Böllers vorkommt, aus und haben uns daher nach dem angesprochenen Böllerwurf ganz klar gegen diese Aktion positioniert.


Habt ihr noch Hoffnung, dass es nach 12:12 noch eine Grundlage gibt, das Pyro-Thema wieder auf die Tagesordnung zu setzen und möglicherweise beim DFB sogar ein Umdenken zu erzielen?

Nein.

Stets wird in dem Zusammenhang davon gesprochen, dass die Ultra-Bewegung die größte jugendliche Subkultur sei. Was macht für euch die besondere Faszination aus. Ist es mehr als nur Fußball? Welche Rolle spielen dabei auch Musik, Klamotten und ein gewisse Haltung?

Es ist definitiv mehr als nur Fußball, obwohl wir uns nach wie vor primär als Fußballgruppe sehen. Es ist wahrscheinlich die Mischung, die es macht, warum auch viele Jugendliche so fasziniert von Ultra sind. In anderen Subkulturen musst du gewisse Regeln beachten, Punks rennen selten im Anzug rum, Skinheads haben selten lange Haare. Bei Ultra kann sich jeder so ausleben, wie er es meint. Wir haben Leute, die hören elektronische Musik, während andere eher den rockigen Sound mögen. Bei Klamotten ist es ebenso, der eine rennt in der Designerhose rum, während der andere im Jogger auf die Straße geht. Die Gemeinschaft und der Verein verbinden diese verschiedenen Elemente und bringen Leute an einen Tisch, die sich sonst wohl nie über den Weg gelaufen wären. Dazu entstehen halt einfach Freundschaften. Man sieht sich ja nicht nur ein-, zweimal die Woche. Manchmal sitzt man mehrere Tage und Nächte an einer Choreo, erzählt sich Sachen, die sonst keiner weiß und die man sonst eventuell auch gar keinem erzählen würde. Heißt, hier finden gerade auch Jugendliche einen Halt, den sie sonst wo vielleicht gar nicht kennen oder bekommen würden. Außerdem hält es einen irgendwie jung und am Leben. Wie oft in letzter Zeit von den Alten der Satz „Ich bin zu alt dafür!“ gefallen ist und man dann schlussendlich doch mit einem Lächeln im Block und Arm in Arm mit einem zehn Jahre jüngeren Menschen stand, ist schon der Wahnsinn.


Tauscht ihr euch eigentlich auch über Vereinsgrenzen hinaus aus? Besteht vielleicht sogar Kontakt zu Ultras rivalisierender Vereine, weil die gemeinsame Sache verbindet?

Man kann durchaus sagen, dass die Ultraszene sehr gut vernetzt ist und damit auch Kontakte zwischen rivalisierenden Gruppen bestehen. 12:12 hat wieder gezeigt, dass man eben manchmal nur gemeinsam stark ist. Das ist den meisten Fanszenen auch durchaus bewusst und daher weiß man, wen man wo erreichen kann wenn es sein muss. Ein regelmäßiges Treffen, wo fröhlich Bierchen miteinander getrunken wird, existiert aber nicht. Darüber hinaus spielen für uns unsere Freundschaften und Kontakte zu anderen Fanszenen / Gruppen eine große Rolle. An dieser Stelle ein Gruß nach Bremen, Chemnitz und Wien!

Was glaubt ihr, in welche Richtung sich die Ultra-Szene entwickelt?

Darauf kann keine seriöse Antwort gegeben werden, wir sind schließlich keine Helleseher, aber man sieht anhand von 12:12 und der Debatte um Pyrotechnik in den Stadien, wie schnell sich etwas verselbstständigen kann. Als die Gespräche betreffend Pyrotechnik seitens des DFB abgebrochen bzw. in unseren Augen verraten und verkauft worden sind, ging merklich ein Ruck durch die Szene, dass man sich so was nicht noch mal gefallen lassen wird. Von Radikalisierung war da in der Öffentlichkeit schnell die Rede. Entweder man meint es ehrlich mit uns, oder man lässt es. Und wenn man, um es mal ganz klar zu sagen, verarscht wird, braucht sich der Gegenüber bei entsprechender Reaktion nicht wundern. Es sollte daher für die Zukunft klar sein, dass man seine Fans ernst nimmt und auch anhört. Miteinander reden ist immer besser als übereinander zu sprechen. Wenn das von allen Seiten in Zukunft eingehalten wird und auch noch ehrlich gemeint ist, kann zumindest etwas Schärfe rausgenommen werden, was das gegenseitige Miteinander angeht. Ob das aber klappt oder überhaupt von allen Seiten gewünscht wird, vermögen wir nicht zu sagen.

Wo seht ihr euch in fünf oder zehn Jahren? Wie lange kann man eigentlich Ultra sein oder gibt es sozusagen eine „natürliche“ Altersgrenze, in der man lieber auf den Sitzplatz umzieht?

Wie wir eingangs geschrieben haben, entzieht sich ein Ultra seinem Alter. Erzählungen nach könnte sogar unser Opa Luscheskowski ein prima Ultra gewesen sein, von daher juckt es uns heute auch nicht, was in zehn Jahren sein wird. Wichtig ist erstmal das hier und heute und wenn alles passt, sehen wir uns in zehn Jahren wieder und schauen uns den aktuellen Stand der Dinge an. In diesem Sinne.

Alles fUEr Essen! Ultras Essen im Oktober 2013

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