Der Skandal in Italiens Fußball zieht rund vier Wochen vor der WM immer weitere Kreise. Neben Rekordmeister Juventus Turin, der am Sonntag seinen 29. nationalen Titel perfekt machen könnte, geraten immer mehr Klubs in den Sog der Affäre. Die Staatsanwaltschaft Neapel hat auch den AC Mailand, Klub des scheidenden italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi ins Visier genommen, berichtete die Gazzetta dello Sport am Samstag.
"Wir werden die Vorwürfe klären. Wir haben nichts mit dem Skandal zu tun", sagte der Vizepräsident des AC Mailand, Adriano Galliani. Berlusconi, Ehrenpräsident von Milan, war erschüttert. "Was derzeit im italienischen Fußball geschieht, ist schrecklich", meinte Berlusconi.
Nationaltrainer Lippi weist Vorwürfe zurück
Der Skandal, der schon zum Rücktritt des Fußballverbands-Chefs, Franco Carraro, und des kompletten Juve-Vorstands geführt hat, droht jetzt die Nationalmannschaft zu erfassen. Nationaltrainer Marcello Lippi dementierte, dass er Rücktrittsabsichten hege. Medienberichten zufolge habe der skandalumwitterte Ex-Sportdirektor von Juventus, Luciano Moggi, dem Anschein nach Schlüsselfigur der Manipulationsaffäre, auf Lippi (früher Juve-Trainer) Druck ausgeübt, Spieler einzuberufen, die bei der Vermittlungsagentur GEA unter Kontrolle seines Sohnes Alessandro unter Vertrag stehen - um den Marktwert zu heben. Lippi bestreitet das. Der Name des Nationaltrainers steht nicht auf der Liste der 41 Verdächtigen, die die Staatsanwaltschaft von Neapel demnächst vernehmen will.
Ins Visier der Ermittler ist dagegen Schiedsrichter Massimo De Santis geraten, einer der beiden Referees, die für Italien bei der WM in Deutschland pfeifen sollten. "Solange diese Vorwürfe nicht geklärt sind, können wir De Santis nicht nach Deutschland schicken. Wenn wir keine Maßnahmen ergreifen, wird ihn die FIFA stoppen," sagte der frühere Schiedsrichter-Koordinator Paolo Casarin. Der 44-jährige De Santis wird einer Absprache mit Juve-Sportdirektor Moggi beschuldigt. Laut der französischen Nachrichtenagentur afp werde De Santis nicht bei der WM pfeifen, da ihm der italienische Fußball-Verband FIGC die Akkreditierung entzogen habe. Dies sei bereits der FIFA mitgeteilt worden.
38 Spiele sollen beeinflusst worden sein
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft von Neapel habe Moggi als mutmaßlicher Drahtzieher gemeinsam mit Komplizen im Verband 29 von 38 Meisterschaftsmatches der Turiner beeinflusst. Allein 2400 Seiten Material über das "Moggi-System" habe man zusammengetragen, hinzu kommen weitere 10.000, die mögliche illegale Machenschaften dokumentieren.
Beim Spiel Reggina-Juventus (2:1) am 6. November 2004 soll Moggi den Schiedsrichter Gianluca Paparesta in einen Umkleideraum eingesperrt haben, weil dieser mit seinen Beschlüssen angeblich Juve benachteiligt haben soll, was zur Niederlage der Turiner geführt hatte. Moggi drohen deshalb bis zu acht Jahren Haft. Der einflussreiche Sportdirektor wird beschuldigt, mit Hilfe des Schiedsrichter-Koordinators Pierluigi Pairetto sogar die Namen der Linienrichter bei Juve-Spielen bestimmt zu haben.
Moggi stand an der Spitze einer Mafia-artigen Organisation, die den Fußball verzerrt habe, betonten die Staatsanwälte von Neapel. Alle verdächtigen Spiele werden in diesen Tagen vom italienischen Pay-TV-Kanal Sky Sport wieder gesendet.
Juventus droht offenbar sogar Zwangsabstieg
Juventus droht wegen des Skandals erstmals in seiner 109-jährigen Geschichte den Zwangsabstieg. Doch der ganzen Führungselite im italienischen Fußball drohen Sanktionen. Nach Carraros Rücktritt könnte der Fußballbund sogar unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt werden. Der designierte Regierungschef Romano Prodi hat Fußball-Kommissar Gianni Letta, bisher Staatssekretär unter der Regierung von Silvio Berlusconi, vorgeschlagen.
Wegen des Skandals muss die Squadra Azzurra möglicherweise sogar auf den populären Torhüter Gianluigi Buffon zu verzichten. Italiens Nationaltorhüter sowie die ehemaligen Juventus-Spieler Mark Juliano, Enzo Maresca und Antonio Chimenti sind in den Verdacht geraten, illegale Sportwetten abgeschlossen zu haben. So sollen über Strohmänner von den vier Verdächtigen hohe Summen auf bestimmte Spiele gesetzt worden sein. Einer der Beteiligten soll im Rahmen einer Saison sogar 1,6 Millionen Euro gewettet haben.