Startseite

Ortstermin: 7. März, Helmut-Körnig-Halle, Dortmund
Deutsche Meisterschaft der gehörlosen Leichtathleten

Christoph Bischlager ist Weltmeister der gehörlosen Zehnkämpfer (RS-Foto: Lisa Nohl).
Christoph Bischlager ist Weltmeister der gehörlosen Zehnkämpfer (RS-Foto: Lisa Nohl).
Viktoria Köln
Viktoria Köln Logo
19:00
Rot-Weiss Essen Logo
Rot-Weiss Essen
18+ | Erlaubt (Whitelist) | Suchtrisiko | Hilfe unter www.buwei.de | -w-

In der Helmut-Körnig-Halle in Dortmund herrscht Samstagmorgen gegen 10 Uhr schon reges Treiben. Auf der einen Seite machen sich einige Hochspringer warm, auf der anderen Seite warten Sprinter auf das entscheidende Startsignal. Aber eines fehlt: Wie sonst bei großen Hallen-Sportevents üblich, gibt es hier fast keine Geräuschkulisse.

Stattdessen gestikulieren die Zuschauer wild mit ihren Händen. Denn in der Halle finden die Deutschen Meisterschaften der Gehörlosen in der Sparte Leichtathletik statt. Ich bin verunsichert, weil ich nicht weiß, wen ich ansprechen soll. Viele Gehörlose können zwar Lippenlesen, aber die wenigsten Hörenden sind der Gebärdensprache mächtig.

Unauffällig schleiche ich durch die Halle, bis nach knapp 20 Minuten Anne Köster bei der Wettkampfleitung auftaucht. Sie ist eine Vertreterin des Deutschen Gehörlosen-Sportverbandes und kann mir weiterhelfen. Denn sie hat die Gebärdensprache gelernt und ist für mich an diesem Tag die Dolmetscherin. Dass die Gebärdensprache für Hörende extrem schwer zu lernen erscheint, kann sie heute nicht mehr nachvollziehen: "Es sieht schwerer aus, als es ist. Die Sprache konzentriert sich viel mehr auf das Wesentliche, Feinheiten werden da eher weggelassen. Und lernen kann man sie wie jede andere Fremdsprache auch."

Die Deutschen Meisterschaften gibt es seit 1976, internationale Wettbewerbe dagegen schon seit 1928. Und anders als vermutet, gibt es sportlich keinen Unterschied zwischen Gehörlosen und Menschen, die ohne Defizite hören können. "Nur bei internationalen Wettbewerben gibt es für die Läufer beispielsweise so was wie Ampelanlagen. Ansonsten machen wir das ganz normal mit der Startpistole, denn nur die wenigsten Sportler können wirklich gar nichts hören. Deshalb sind Hörgeräte jeglicher Art bei Wettkämpfen verboten. Denn auch wenn man es sich nicht vorstellen kann: Wer mehr hört, reagiert auch viel schneller. Im Tennis beispielsweise erkennt ein Mensch mit 'normalem' Gehör schon am Aufprall, ob der Ball hart oder weich kommt, ob er Effet hat oder welche Geschwindigkeit er besitzt."

Als nächstes treffe ich Jessica Urbanski. Die 15-Jährige ist bereits Europameisterin im 60-Meter-Sprint und ist heute mit 7,96 Sekunden auch auf 100 Metern allen davongelaufen. Sie trägt ein Hörgerät, dass sie für das Interview mit mir erst einmal anstellen muss. Aber dann können wir ohne Übersetzer sprechen. Sie erzählt mir, dass die Teilnahme an den Deutschen Meisterschaften sehr wichtig für sie ist: "Hier treffe ich auch andere Gehörlose und kann mich mit ihnen austauschen. Außerdem kann ich so auch viel herumreisen."

Und das tut sie auch, nimmt neben den Deutschen Meisterschaften auch an Europameisterschaften oder der Ruhr-Olympiade teil. Mit in der Halle sind natürlich auch die Bundestrainer, unter anderem Wolfgang Irle, der den Bereich Lauf und Sprint betreut. Er berichtet, dass gehörlosen Kindern oft unbewusst die Chance auf eine erfolgreiche Karriere als Spitzensportler genommen wird: "In dem Alter, wo die koordinativen Fähigkeiten des Körpers ausgebildet werden, lernen die meisten Gehörlosen gerade den Umgang mit der Gebärdensprache. Im Sport brauchen sie danach eine individuelle Betreuung. Das Problem dabei: Sie sind im Leben oft isoliert und wollen das nicht auch noch im Sport sein. Sie suchen die Gruppenzugehörigkeit. Außerdem haben sie eigentlich nur im sportlichen Bereich die Möglichkeit, sich mit Hörenden zu messen."

Messen will sich an dem Tag auch Christoph Bischlager. Er hat im vergangenen Jahr an der ersten Gehörlosen-Weltmeisterschaft in der Türkei teilgenommen. Und mitgebracht hat er gleich den WM-Titel im Zehnkampf. Um mich mit ihm unterhalten zu können brauche ich jetzt aber doch die Hilfe von Anne Köster. Er erzählt, dass er mit elf Jahren über seine damalige Schule zur Leichtathletik gekommen ist. Er habe damals alle Disziplinen ausprobiert und war überall von Beginn an sehr gut.

Die logische Konsequenz: Seit 2002 gehört er zum A-Kader der Nationalmannschaft. Sein Bericht über die WM-Teilnahme ist unglaublich: "Ich hätte nie gedacht, dass ich überhaupt teilnehmen kann. Und dann habe ich in sieben von zehn Disziplinen immer vor den anderen gelegen. Am Ende hatte ich mit insgesamt 5868 Zählern ganze 256 Punkte Vorsprung auf die anderen Teilnehmer und bin Weltmeister geworden." Wie sich der Titelgewinn dann letztendlich angefühlt hat, beschreibt er kurz und knapp: "Geil! Keiner ist im Moment besser als ich."

Im Sommer diesen Jahres finden die Deflympics in Taipeh statt. Und dabei will er dieses Mal sogar stolze 6300 Punkte erreichen.

Deine Reaktion zum Thema
1
2
3
4
5
1
2
3
4
5
1
2
3
4
5
Neueste Artikel