Am Donnerstagmittag traf Kevin Großkreutz in Hopfgarten ein. Die 5600-Einwohner-Gemeinde liegt in einem Tal inmitten der Kitzbüheler Alpen, der höchste Punkt des Ortes ist der Gipfel des Torhelms im Langen Grund, immerhin 2494 Meter hoch. Hier erlebt der 29-Jährige den bisherigen Tiefpunkt seiner Fußballer-Karriere.
Denn Großkreutz kam nicht zum Urlaub nach Tirol. Er schloss sich dem KFC Uerdingen an, der sich dort auf die Drittliga-Saison vorbereitet. Der Mann, der 2014 zum Kader der deutschen Nationalmannschaft gehörte und deswegen noch amtierender Weltmeister ist. Der mit Borussia Dortmund zwei Meisterschaften und den DFB-Pokal gewann. Der Champions-League-Spiele im Estadio Santiago Bernabeu von Real Madrid und im Emirates Stadium des FC Arsenal bestritt. Jener Mann läuft künftig in Spielstätten auf, die Frimo-Stadion oder Mechatronik Arena heißen, etwa 10 000 Zuschauer fassen und selten ausverkauft sind. In der Dritten Liga halt.
Die Qualität zählt
Dem KFC Uerdingen, eben erst aus der Regionalliga aufgestiegen, ist mit der Verpflichtung ein Coup geglückt. „Wir freuen uns sehr, dass uns dieser Transfer gelungen ist“, freute sich Geschäftsführer Nikolas Weinhart. „Für uns zählt weniger der Name als die spielerische Qualität, die Kevin Großkreutz mitbringt. Er wird die Mannschaft sicher noch einmal enorm verstärken können und bringt viel Erfahrung mit, von der wir profitieren werden.“
Ob auch Großkreutz sich freut? Der Wechsel zu einem Drittligisten markiert eine weitere Etappe des tiefen Absturzes des 29 Jahre alten Weltmeisters – und die wohl letzte Chance, die Karriere wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.
Vor fünf Jahren noch war Großkreutz ganz oben, unter Trainer Jürgen Klopp war er beim BVB unumstrittener Stammspieler. Andere waren fußballerisch besser, schneller, schossen mehr Tore – aber Großkreutz spielte trotzdem fast immer. Und 2014, bei der WM, kam er zwar nicht zum Einsatz, kehrte aber doch als Weltmeister zurück – und ließ sich den Pokal auf die linke Schulter tätowieren, die schon die Meisterschale und der DFB-Pokal zierten.
Schon damals entstand beim BVB das Gefühl: Dieser Erfolg war vielleicht doch einer zu viel. Dass der Alleskönner im Mittelfeld ein paar Monate zuvor nach dem verlorenen Pokalfinale sturztrunken in eine Berliner Hotellobby urinierte, hatte ihn schon viel Kredit gekostet. Als er aus Brasilien zurückkehrte, war aus dem Klub zu hören, dass sich der Ur-Dortmunder etwas zu sehr als Weltmeister fühle und auch entsprechend auftrete. Die Fitnesswerte zum Trainingsstart seien katastrophal gewesen.
Katastrophal verlief auch die nächste Saison, für den BVB und für Großkreutz persönlich. Und als 2015 sein Förderer Klopp ging und Tuchel kam, war schnell klar: Eine Zukunft beim BVB gab es nicht mehr, Großkreutz wechselte nach Istanbul zu Galatasaray. Wegen eines Formfehlers konnte er dort ein halbes Jahr nicht spielen – er kehrte im Winter vor lauter Heimweh zurück nach Deutschland. Doch auch beim VfB Stuttgart wurde er nicht glücklich: Dem Abstieg im Sommer folgte der Rauswurf im Frühling, nachdem Großkreutz mit einigen VfB-Juniorenspielern spätnachts im Rotlichtviertel unterwegs gewesen und in eine Schlägerei verwickelt worden war.
Vor einem Jahr unternahm er schon einmal einen neuen Anlauf beim Zweitligisten Darmstadt 98. Dort aber wurde er zum Ende der Saison aussortiert – aus sportlichen Gründen, wie Trainer Dirk Schuster immer betonte.
Familiäre Gründe
Nun also KFC Uerdingen. Für den Wechsel an den Niederrhein sprechen einerseits familiäre Gründe. Mit seiner anderthalbjährigen Tochter Leonie und seiner Freundin Caro wohnt er nun deutlich näher an den Eltern in Dortmund.
Andererseits ist Uerdingen sportlich ambitioniert, der russische Präsident und Mehrheitseigner Mikhail Ponomarew hat schon andere frühere Erstligaprofis wie Maximilian Beister und Stefan Aigner nach Krefeld gelotst.
Hunger leiden müssen sie nicht: Alexander Baumjohann, den der KFC ebenfalls holen wollte, wurde nach Informationen dieser Zeitung ein Monatsgehalt von 30 000 Euro angeboten. Großkreutz dürfte kaum weniger verdienen.