Dass der MSV Duisburg einmal bekannt war für seinen Angriff und richtig viele Tore geschossen hat, das kann sich in dieser Saison niemand wirklich vorstellen. Gerade mal 23 Treffer haben die „Zebras“ bislang erzielt, keine Mannschaft in der zweiten Liga hat aktuell weniger Tore auf dem Konto. Doch es gab mal eine Zeit, da sah das ganz anders aus. Vor 50 Jahren zeigten sich die Duisburger in der Bundesliga richtig torhungrig. Am 26. März 1966 stellte der MSV sogar einen Rekord auf und erzielte beim 9:0-Erfolg über Tasmania Berlin den immer noch höchsten Auswärtssieg einer Mannschaft in der Bundesliga-Geschichte.
Die Fußball-Karriere von Rüdiger Mielke war kurz – aber knackig. Gerade einmal zwei Spielzeiten lief er für den MSV Duisburg auf, stand in 15 Partien auf dem Platz. Wegen Knieproblemen musste der damalige Jungprofi seine Fußballerlaufbahn beenden. Mielke erlangte trotzdem große Bekanntheit. Noch heute ist er der Stürmer mit der besten Torquote, im Schnitt erzielte er ein Tor pro Spiel. Beim Rekordspiel gegen Tasmania Berlin stand der heute 72-Jährige mit auf dem Platz und steuerte vier Treffer zu seiner Quote hinzu.
Wir haben die Fahrt dahin ja gar nicht ernst genommen
Rüdiger Mielke
Tasmania Berlin war während der einjährigen Zugehörigkeit zur Bundesliga Kanonenfutter. Deutliche Niederlagen standen auf der Tagesordnung. Deswegen fuhren die Duisburger auch mit einem klaren Auftrag nach Berlin: „Wir wollten viele Tore machen“, erinnert sich Mielke. Schon auf dem Hinweg machten sich die Spieler über den Gegner lustig. Kaum jemand wollte sich das Elend der Tasmania mehr live im Stadion anschauen. „Wir haben die Fahrt dahin ja gar nicht ernst genommen“, verrät Mielke. „Wir haben uns einen Spaß daraus gemacht und gesagt, wir können da jedem einzelnen Zuschauer die Hand geben.“ Immer weniger kamen zu den Heimspielen der Berliner, gegen den MSV waren gerade einmal 1.500 Zaungäste anwesend.
Lustig machten sich die Duisburger später dann auch auf dem Platz. Mielke selbst eröffnete den Torreigen mit seinem Treffer zum 1:0 nach zehn Minuten. Als Johann Sabath nur zwei Minuten später auf 2:0 erhöhte, war klar: Das könnte böse Enden. Mitleid, stellt Mielke klar, kannten die Duisburger mit ihrem Gegner nämlich nicht. Obwohl Tasmania zu diesem Zeitpunkt – die Liga schrieb den 27. Spieltag – schon deutlich abgeschlagen am Tabellenende stand, war für die Meidericher klar, dass sie hier Vollgas geben und sich auf keinen Fall schonen werden. „Das gab es es für uns früher nicht, so einen Quatsch. Wer drin war, der wollte auch Fußball spielen.“ Und auch nachdem Rudolf Schmidt (19.) und Mielke mit seinem zweiten Treffer (26.) vor der Pause das Ergebnis auf 4:0 hochgeschraubt hatten, gab es in der Kabine in der Halbzeit nur eine Ansage: „Weiter stürmen!“ „Diese Mentalität muss man als Fußballer doch mitbringen, dass man immer möglichst viele Tore schießen will“, befindet Mielke und schiebt einen Seitenhieb in Richtung heutiger Fußballprofis, die gerne auch mal das Tempo rausnehmen, wenn das Ergebnis eindeutig ist.
Der MSV hat uns regelrecht vorgeführt
Horst Szymaniak
Beim MSV ging es am 26. März 1966 Schlag auf Schlag weiter. Die „Zebras“ um Spielführer Werner Preuß setzten Tasmania immer weiter unter Druck. Werner „Eia“ Krämer legte zum 5:0 (46.) nach, Mielke selbst zeichnete für das 6:0 (50.) verantwortlich. Es folgte eine kleine Verschnaufpause, ehe erneut Krämer (83.) zum 7:0, Carl-Heinz Rühl mit dem 8:0 (89.) und wieder Mielke (90.) den Endstand herstellten. „Wir standen nur da und mussten den Ball auf den Anstoßkreis legen. Der MSV führte uns regelrecht vor und hat immer weiter gemacht“, erinnerte sich der damalige Berliner und ehemalige Wuppertaler Horst Szymaniak später zurück.
Glücklich, aber nicht zufrieden fuhren die Duisburger nach Hause. „Wir waren traurig, dass wir keine zehn Tore geschafft haben“, sagt Mielke und lacht. „Das wäre noch schöner gewesen.“
In einer Zeit, in der der MSV Duisburg sportlich ums überleben kämpft und kurz vor dem erneuten Abstieg in die 3. Liga steht, erinnert sich der einstige Vollblutstürmer gerne an die erfolgreichere Zeit der „Zebras“ zurück. In der Spielzeit 1965/66 erzielten Mielke und seine Mitspieler sage und schreibe 70 Tore in einer Saison und landeten am Ende auf einem guten achten Platz. Mielke hat eine Erklärung, warum der Meidericher SV damals eine gar nicht so schlechte Adresse im deutschen Fußball war. „Das war ja alles ,Inzucht'“, sagt er mit einem Augenzwinkern. „Wir kamen doch alle von hier. Wir hatten einen richtigen Zusammenhalt. Ob Eia Krämer, Günter Preuß oder Johann Sabath, wir waren Duisburger und konnten uns mit unserem Verein identifizieren.“
Wir waren traurig, dass wir keine zehn Tore geschossen haben
Rüdiger Mielke
Und die Fans mit den Spielern. So konnte sich Mielke nicht nur nach dem damaligen Rekord-Erfolg über Tasmania Berlin über Obst- und Gemüse-Gaben vor der Haustüre freuen. „Das haben uns die Bauern dann immer vorbeigebracht. Wir mussten uns um nichts kümmern.“ Wie schön es in Duisburg einmal war...