Warum haben Sie nach dem Karriereende eine Lotto-Toto-Annahmestelle in Münster eröffnet?
Wir hatten zu Hause eine Gaststätte und ich kam mit den Gästen immer gut zurecht. Daher habe ich mir gedacht, dass ein Laden mit viel Kundenkontakt gut für mich wäre. 14 Jahre lang habe ich das gemacht, aber es war nicht mein Leben. Ich war eben ein Kämpfer, der nie aufgegeben hat. Aber eigentlich hätte ich mich viel eher um etwas anderes bemühen müssen.
Wurde Ihnen der Kampfgeist gewissermaßen zum Verhängnis?
Das kann man so sagen. Die Miete in der Innenstadt war zu hoch und der Euro hat mir den Rest gegeben. Es ging rapide bergab, aber ich dachte, dass es schon wieder wird. Doch irgendwann ging es nicht mehr. Ich musste den Laden aufgeben und habe vier Mal versucht, mir das Leben zu nehmen. Erst dann wurde mir klar, dass ich mir helfen lassen muss.
Wie ging es weiter?
Ich habe mich 2006 selbst in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Eigentlich wollte ich nur zwei Wochen dort bleiben. Daraus wurden letztlich drei Monate. Ich hatte nicht so starke Depressionen wie Robert Enke. Aber ich hatte eine ganz schlechte Zeit in meinem Leben. Und in dieser Zeit haben sich viele bei mir gemeldet und ihre Hilfe angeboten.
Ausgerechnet der VfL Bochum hat Ihnen eine neue Perspektive eröffnet.
Stefan Kuntz hat mich auf Betreiben von Werner Altegoer angerufen und mir 2006 den Job als freiberuflicher Scout angeboten. Später habe ich mich persönlich mit Werner Altegoer zum Essen getroffen. Er wollte sich ein Bild machen, ob ich überhaupt ausreichend gefestigt bin, die Scouting-Abteilung aufzubauen. Danach habe ich eine Festanstellung bekommen. Die beiden haben mich zurückgeholt.
Hat der Fußball Ihr Leben gerettet?
Das weiß ich nicht. Aber der VfL gibt mir etwas zurück, das ich ihm schon gegeben habe. Es ist von beiden Seiten eine Herzensangelegenheit. Wir leben noch – sowohl der VfL als auch ich.
Haben Sie das Gefühl, dass die Vereine durch Robert Enkes Freitod für das Thema Depressionen sensibilisiert wurden?
In den ersten Monaten danach hatte es den Anschein. Aber heute kommt das Thema doch nur noch kurz zu seinem Todestag hoch. Es hat sich nicht viel geändert. Wenn sich heute einer zum Burnout-Syndrom oder zu Depressionen bekennt, wird er doch gar nicht für voll genommen. Darüber lachen die Leute. Kann man sich als Fußballer Verwundbarkeit leisten?
Nein, das geht nicht. Ich weiß nicht, ob die Profis, die damit an die Öffentlichkeit gegangen sind, noch langfristige Verträge bekommen. Die gelten doch direkt als labil. Es wird sich auch nie ein schwuler Bundesliga-Spieler outen. Es interessiert heute eigentlich keinen Menschen mehr, ob jemand schwul oder lesbisch ist. Aber im Fußball ist das immer noch nicht möglich. Die Vereine müssen sich auch mal Gedanken machen, wie sie junge Spieler außerhalb des Platzes begleiten können.
Haben Sie ein Beispiel?
Wenn die Jungs meine Geschichte hören, schauen sie ganz verdutzt und fragen: „Wie kann ich das für mich ausschließen?“ Unser Profi Christoph Kramer erzählte mir neulich, dass er ein Fernstudium aufnehmen würde, weil er zu viel Freizeit hat. Ich finde es gut, aber es kommt zwei Jahre zu spät. So lange spielt er schließlich schon bei uns. Und es ist wichtig, auch außerhalb des Fußballs Interessen zu entwickeln. Wie lange haben Sie gebraucht, um zu erkennen, dass Fußball nicht alles ist?
Das ist eine gute Frage. Mich hat niemand zu dieser Erkenntnis geführt. Man musste eine abgeschlossene Lehre haben, und dann zählte es nur noch, Profi zu sein. Ich hätte mich schon viel eher um Perspektiven bemühen müssen.
Haben Sie Ihr Leben heute wieder im Griff?
Das kann man nie von sich behaupten. Im Falle des Abstiegs in die 3. Liga könnte die Scouting-Abteilung geschlossen werden. Das kann alles passieren. Aber ich habe gelernt, die Leiter nicht mehr komplett runter zu fallen, sondern kleine Schritte nach oben zu machen. Aber ich möchte auch nie sagen, dass die Depression ganz weg ist. Diese Krankheit ist so tückisch, dass sie von heute auf morgen wieder auftreten kann.