Die anfängliche Euphorie um die Verpflichtung von Top-Stürmer Jefferson Farfan und die großen Hoffnungen in Trainer Fred Rutten haben sich bereits nach weniger als einem Drittel der Spielzeit verbraucht. Spätestens seit den letzten beiden enttäuschenden Vorstellungen der Mannschaft beim peinlichen 1:1 gegen Nikosia und dem glücklichen 2:2 gegen Wolfsburg haben die meisten Fans in der Arena den Glauben an eine wunderbare Serie mit womöglich der Meisterschaft als Krönung verloren. Warum der Fatalismus der schnell zu emotionalen Grenzgänger werden Anhänger nicht unbegründet ist, man die Saison aber zum jetzigen Zeitpunkt noch lange nicht als verkorkst abschreiben sollte, versucht RS im folgenden S04-Check zu analysieren.
Die Abwehr Das Beste vorweg: Nach den Ausfällen von zunächst Manuel Neuer und danach Mathias Schober hat sich die Sorge, Schalke könne ein ernsthaftes Torhüter-Problem bekommen, als völlig haltlos erwiesen. Im Gegenteil: Ralf Fährmann, bis zu seinem Bundesliga-Debüt ausgerechnet im großen Revierderby bei Borussia Dortmund die Nummer drei im königsblauen Kasten, hat nicht nur seine Bewährungsprobe bestanden. Schalkes A-Junioren-Meister von 2006 hat sich mit tadellosen Leistungen zu einer echten Alternative für Neuer empfohlen, falls dieser künftig auch auf Schalke so patzen sollte wie noch am Freitag bei der deutschen U21-Nationalelf. Ein zweiter Gewinner der vergangenen Wochen ist Rafinha. Nach seiner selbstgerechten Olympia-Teilnahme ist der Rechtsverteidiger ohne weitere Sanktionen wieder direkt in die erste Elf gerückt und hat dort untermauert, dass es für ihn nicht annähernd einen gleichwertigen Ersatz gibt. Bange macht indes die Tatsache, dass in der Zentrale die alternden Marcelo Bordon und Mladen Krstajic anscheinend zu starken Leistungsschwankungen neigen. Der Kapitän, bis dahin ein Muster an Beständigkeit, patzte in Köln und gegen Wolfsburg schwer. Sein Nimbus als Abwehrchef schwindet, sollten sich derlei Böcke wiederholen.
Das Mittelfeld Vor dem ersten Pflichtspiel schien hier die Konkurrenzsituation am größten zu sein, doch weit gefehlt. Bisher stellte sich das Dreier-Mittelfeld von selbst auf, da anfangs Orlando Engelaar verletzt fehlte und sich dann Fabian Ernst in Dortmund selbst aussperrte. Konstant dabei war neben Jermaine Jones zur Überraschung aller Experten Heiko Westermann, der sich auf seiner nunmehr vierten Position im Schalker Gefüge als Torjäger entpuppte. In Hamburg ist Ernst wieder spielberechtigt, sodass wohl Engelaar für ihn weichen muss. Für den Musterschüler von Coach Fred Rutten ist die Bundesliga bisher eine Nummer zu groß, die erhoffte Verstärkung ist der 5,5-Millionen-Einkauf bisher längst nicht. Nur noch als verlässliche Alternative für Christian Pander als linker Verteidiger oder eben im Mittelfeld gilt Levan Kobiashvili. Das ist immerhin schon mehr als Carlos Grossmüller, Gustavo Varela, Albert Streit und Zé Roberto von sich behaupten dürfen.
Der Angriff Die Besetzung der Offensive löst bisher die meisten Diskussionen auf Schalke aus. Klar, Jefferson Farfan ist gesetzt. Der Peruaner wurde in seiner vierwöchigen Verletzungsauszeit schmerzlich vermisst, so konnte er bisher nur in Ansätzen seine Klasse unter Beweis stellen. Das Problem ist und bleibt Kevin Kuranyi. Einerseits hat der heftig umstrittene Stoßstürmer mit dem Doppelpack gegen Wolfsburg schon wieder eine Trefferquote auf dem Konto, aufgrund der sich eigentlich jegliche Diskussion erübrigen sollte. Doch es ist eben dieses erschreckende Missverhältnis zwischen Kuranyis glänzender Statistik - bis heute 44 Tore in 83 Bundesliga-Partien für die Knappen - und seinen spielerischen Leistungen, die viele Beobachter kaum noch ertragen können. Schlichtweg eine Fehlbesetzung auf Linksaußen ist hingegen Ivan Rakitic. Der "Zehner" wird dort nur schwächer statt stärker, so wie es sich Manager Andreas Müller im RevierSport-Interview vor einigen Wochen erhoffte, und wird über kurz oder lang dauerhaft auf der Bank landen. Doch auch hier, wie im Mittelfeld, drängen sich die potenziellen Bewerber nicht auf. Vicente Sanchez bleibt eine wegen seiner spektakulären Soli beim Publikum beliebten Ergänzungskraft, Halil Altintop fehlt die Konstanz und Peter Lövenkrands sowie Albert Streit spielen keine Rolle.
Die Stärken Nur sieben Gegentreffer und in immerhin drei der bisher sieben Bundesligaspiele zu Null sprechen nominell für eine gute Abwehrarbeit. Doch wie oben erwähnt, müssen gerade die alten Haudegen Bordon und Krstajic 90 Minuten die Konzentration hochhalten, um mit ihren Nachlässigkeiten sicher geglaubte Punkte zu verspielen. Außerdem hatte man nach den ersten drei Dreiern gegen Hannover, Bochum und Frankfurt gedacht, die heimische Arena könne wieder eine schwer einnehmbare Festung sein. "Angstgegner" Wolfsburg hat allerdings gezeigt, mit welch einfachen Mittel die Bude zu stürmen ist.
Die Schwächen Der von Rutten gern benutzte Begriff von der großen Kabine, mit dem der Holländer auf die angeblich große Konkurrenzsituation auf Schalke anspricht, ist ein Trugschluss. So kommt es nicht von ungefähr, dass der Fußballlehrer fast exakt auf das Personal seines Vorgängers Mirko Slomka vertraut. Das liegt aber nicht etwa daran, dass der Verein im Sommer nur zwei Neuzugänge geholt hat, sondern die im vorherigen Winter verpflichteten Spieler keine wirklichen Alternativen zum vorhandenen Stamm sind.
Die Prognose Vor Schalke liegen unangenehme Wochen, die durch einen Sieg beim Spitzenreiter Hamburg am besten zu bewältigen sind. Danach steht neben den Pflichtaufgaben in der Liga gegen die Abstiegskandidaten Bielefeld, Karlsruhe und Cottbus die erneute Bewährung im europäischen Wettbewerb auf dem Programm. Hält sich die Truppe bis zur Winterpause oben in der Liga und übersteht die Gruppenphase des UEFA-Cups, ist alles normal, mehr aber auch nicht. Geht aber eins der beiden Ziele daneben, ist schon zum Jahreswechsel Feuer unterm Arenadach.