1:0 gegen den 1. FC Köln, 1:1 beim VfL Bochum und nun das 2:2 gegen den 1. FC Heidenheim: Borussia Dortmund hat den Bundesliga-Start 2023/2024 verpatzt.
Im Interview mit dem Sportinformationsdienst (sid) findet BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl deutliche Worte.
Sebastian Kehl, schwache Leistungen gegen mittelmäßige Gegner: Wie bewerten Sie den Saisonstart von Borussia Dortmund - und was muss sich zwingend ändern?
Fünf Punkte aus unseren ersten drei Spielen sind für unsere Ambitionen eindeutig zu wenig. Es gibt sicher Argumente dafür, dass bei uns noch nicht alles perfekt funktionieren kann. Aber wenn ich sehe, wie wir die Partie gegen Heidenheim nach einer souveränen ersten Hälfte leichtfertig aus der Hand geben, wie wir nach der Pause mehrfach in Konter laufen, an Struktur verlieren, das Spiel vogelwild und hektisch werden lassen, dann muss ich sagen: Das geht so nicht. Dieser Auftritt entspricht nicht der Qualität und den Ansprüchen dieser Mannschaft. Jeder einzelne Spieler muss deutlich mehr Verantwortung für seine eigene Leistung übernehmen! Und dann bin ich mir sicher, dass wir unsere PS durch Training, physische Stabilität und Rhythmus auch wieder auf die Straße bringen werden. Wir gehen die drei Wettbewerbe trotz dieses Rückschlags mit Zuversicht an und rechnen uns überall Chancen aus. Unser Kader hat eine hohe Qualität.
Die Umsetzung des Videobeweises gegen den 1. FC Heidenheim erschien chaotisch, besonders vor dem 2:2. Inwiefern ist das im Sinne des Fußballs?
Natürlich ist es immer im Sinne des Zuschauers, wenn der Spielfluss nicht unterbrochen wird. Der Ablauf wirkte schon recht unglücklich und hat zu lange gedauert. Erst wird die Situation gecheckt und auf abseits entschieden, nach unserer Auswechslung wird plötzlich noch ein weiterer Check durchgeführt und dann auf Elfmeter entschieden. Der Schiedsrichter hat am Ende aber die richtige Entscheidung getroffen, so ehrlich müssen wir sein. Das habe ich ihm nach dem Spiel auch persönlich gesagt. Und dass wir nur 2:2 gespielt haben, lag nicht an ihm, sondern einzig und allein an uns selbst.
Wie fällt Ihre Bilanz nach Ende des Transferfensters aus?
Wir haben in diesem Transferfenster das umsetzen können, was im Rahmen unserer wirtschaftlichen Möglichkeiten darstellbar war. Uns war von Anfang an bewusst, dass wir die Einnahmen aus dem Verkauf von Jude Bellingham nicht 1:1 in den Kader reinvestieren können würden – das haben wir auch Anfang Juni schon offen kommuniziert. Wir hatten einen klaren Plan, den wir Stück für Stück umgesetzt haben. Am Ende haben wir vier Nationalspieler verpflichtet, die unsere Mannschaft verstärken werden. Und bis auf Niclas Füllkrug haben wir alle so früh verpflichtet, dass sie bereits im Juli mit auf unserer USA-Reise waren und somit früh in das Team integriert werden konnten. In Ramy Bensebaini haben wir einen der besten Linksverteidiger der vergangenen Bundesliga-Spielzeiten ablösefrei für uns gewinnen können, in Felix Nmecha und Marcel Sabitzer zwei Mittelfeldspieler, die uns mit ihren Entwicklungspotenzialen und unterschiedlichen Fähigkeiten als Mannschaft besser machen werden. Und Niclas ist nicht nur ein echter Torjäger, sondern auch Bundesliga-Torschützenkönig.
Welche Idee steckt hinter seiner Verpflichtung?
Niclas brennt darauf, für Borussia Dortmund zu spielen, und hat uns in den Gesprächen gezeigt, dass er unbedingt zu uns wollte. Er ist ein richtig guter Typ, der bereit ist, sich für den BVB zu zerreißen. Diese Einstellung gefällt mir sehr. Und er erfüllt genau das Anforderungsprofil, das wir an einen weiteren Stürmer gestellt haben: ein sehr physischer Spieler, zweikampf- und kopfballstark und dazu extrem torgefährlich. Wir haben in drei Wettbewerben ambitionierte Ziele und sind der Überzeugung, mit Niclas dafür noch besser aufgestellt zu sein. Und genau deshalb haben wir auch eine bewusste Konkurrenzsituation innerhalb des Kaders geschaffen. Dass uns Sebastien Haller als ivorischer Nationalspieler in den kommenden zwei Jahren im Winter jeweils wegen des zweimal hintereinander stattfindenden Afrika-Cups mehrere Wochen lang fehlen wird, ist ohnehin kein Geheimnis.
Was bedeutet Füllkrugs Verpflichtung für Youssoufa Moukoko?
Kehl: „Dass er sich – genau wie jeder andere Spieler in unserem Kader – einer gesunden Konkurrenzsituation stellen muss. Wir sind von seinen Fähigkeiten überzeugt. Deswegen haben wir ihn auch nicht abgegeben, obwohl es einige Anfragen für Youssoufa gab. Wir haben nicht nur in der Bundesliga und im DFB-Pokal, sondern auch in der Champions League – in der wir die schwerste aller Gruppen erwischt haben – ambitionierte Ziele. Natürlich muss der Kader qualitativ und quantitativ auch auf die Belastungen der intensiven Wochen ausgelegt sein. Es liegt auf jeder Position an jedem einzelnen Spieler, den Trainer Tag für Tag davon zu überzeugen, dass er in der Startelf stehen muss.
Wären andere Baustellen (Sechser, Außenverteidiger) dringender gewesen?
Wir haben unsere Transfers nicht getätigt, um Baustellen zu schließen. Wir haben schließlich den Großteil jener Mannschaft zusammengehalten, die in der vergangenen Saison ganz nah an der Meisterschaft dran und eine der erfolgreichsten und torgefährlichsten in Europa war. Wir haben uns auf den Positionen verstärkt, auf denen wir Bedarf gesehen haben. Dass es in Europa zahlreiche Klubs gibt, die andere finanzielle Möglichkeiten haben als wir, ist nicht neu. Damit müssen wir uns jeden Tag auseinandersetzen. Dass plötzlich in Saudi-Arabien ein neuer Big Player nahezu aus dem Nichts auf dem Markt auftaucht, gehört natürlich genauso zur Wahrheit.
Wie beurteilen Sie ihre Gruppe in der Champions League?
Eine absolute Knallergruppe. Sportlich hätte es uns nicht viel schwerer treffen können, aber wir freuen uns auf diese Partien. Nicht nur, weil es bei jedem Klub ein Wiedersehen mit einem unserer ehemaligen Spieler gibt (Achraf Hakimi bei PSG, Christian Pulisic bei Milan, Alexander Isak bei Newcastle, d. Red.). Wir müssen in jedem Spiel voll fokussiert sein und unser Limit erreichen. An unserer Zielsetzung ändert sich trotz der namhaften Gegner nichts. Wir wollen weiterkommen und in die K.o.-Phase der Champions League einziehen.