„Wir müssen aus der Vergangenheit unsere Lehren ziehen“, erläuterte Dr. Reinhard Rauball die verbale Zurückhaltung, „deshalb werden wir uns dazu nicht äußern.“ Auch Coach Thomas Doll legte sich zwar auf keine angestrebte Platzierung fest, verkündete aber selbstbewusst, „wir können eine ganze Region zum Kochen bringen.“ Das gelang den Borussen in der Bundesliga in der Tat, jedoch nicht aufgrund von Freudentänzen, sondern vor Ärger, der den zahlreichen Fans in den meisten Partien ins Gesicht geschrieben stand.
Dabei hatte im Trainingslager am Zürichsee alles in purer Harmonie so verheißungsvoll begonnen. Die Neuzugänge fühlten sich schnell wohl, die Testspielergebnisse waren vielversprechend, insbesondere nach der Rückkehr aus der Schweiz, als der italienische Vize-Meister AS Rom mit 4:0 vom Platz gefegt wurde. „Das Resultat hat bei vielen von uns die Augen verklärt“, klagte Christian Wörns hinterher, „sie haben sich schon zu sicher gefühlt.“ Dafür wurden sie gleich zum Liga-Auftakt bitter bestraft, nach den beiden Pleiten gegen Duisburg (1:3) und in Schalke (1:4) hielt der BVB plötzlich die rote Laterne in Händen. Häme und Spott wurden über die sogenannte „Opa-Abwehr“, in der Wörns (35) sowie Neuzugang Robert Kovac (33) das Innenverteidiger-Duo bildeten, vergossen.
Hinzu kam die schnelle und gleichzeitig bittere Erkenntnis, wieder über keinen Spielgestalter in den eigenen Reihen zu verfügen, da die Umpolung von Mladen Petric vom Stürmer zum klassischen Zehner nicht fruchtete und Giovanni Federico mit seiner phlegmatisch wirkenden Spielweise dem hohen Erstliga-Tempo nicht gewachsen war.
Darüber konnten auch die drei folgenden Siege nur äußerst kurz hinwegtäuschen, da in der Folgezeit der scheinbar unheilbare Borussen-Virus, mit dem Hauptsymptom fehlende Konstanz, wieder ausbrach. Keeper Roman Weidenfeller durfte die hinlänglich bekannte CD mit dem Titel „bei uns zieht nach zwei Siegen stets Selbstzufriedenheit ein“ herauskramen.
Selbstverständlich kann den Dortmundern zugute gehalten werden, dass sie mit den Langzeitverletzten Alexander Frei und Sebastian Kehl nahezu in der kompletten Hinrunde auf zwei Leistungsträger verzichten mussten, doch bei so desolaten Auftritten wie der 0:3-Heimpleite gegen den Hamburger SV durfte das Fehlen des Duos nicht ansatzweise als Entschuldigung herangezogen werden. Zumal das Team beim erstklassig herausgespielten 2:1-Erfolg beim Meister VfB Stuttgart demonstrierte, dass es auch anders geht. Zwischenzeitlich probierten sie es mit einem schweigsamen Psycho-Trick, der die Konzentrationsfähigkeit hochhalten sollte. Es half auch nichts, der Medienboykott wurde keinesfalls mit einer Punkteflut gerechtfertigt.
Nach der Winterpause sollte dann alles besser werden. „Wir sind ein gewisses finanzielles Risiko eingegangen“, verkündete Hans-Joachim Watzke nach der Verpflichtung von Antonio Rukavina, Mats Hummels und Alexander Bade, der für den verletzten Weidenfeller auf der Bank Platz nahm. Rentiert hat sich die Investition von knapp drei Millionen Euro nicht. Ganz im Gegenteil, der BVB mutierte noch mehr zur Schießbude der Liga, das Dümpeln im grauen Mittelmaß erwies sich als Dauergast. Balsam für die schmerzenden Seelen bot nur der DFB-Pokal, der zumindest pointierte Erfolgserlebnisse der besonderen Art hervorbrachte.
Sie reichten verständlicherweise nicht, um dem bitteren Meisterschafts-Alltag vergessen zu lassen, dafür hinterließen die zu schluckenden Pillen, wie beim 0:5 in München oder dem 1:3-Heimdebakel gegen Hannover 96, einen zu bitteren Beigeschmack. Bei der Verabreichung der entsprechenden Dosis hatte auch Doll seine Finger im Spiel, denn das permanent wechselnde Spielsystem, teilweise gleich dreimal in einer Begegnung, rief nicht nur den Zorn der eigenen Anhängerschar, sondern auch den des Hauptsponsors hervor. Der machte sich in ganzseitigen Anzeigen über den BVB lustig. Werner Müller, Vorstands-Chef von Evonik, schämte sich sogar, Gäste in den Signal Iduna Park einzuladen.
So kam es dann, wie es nahezu immer in diesem Geschäft kommt. Es wurde ein Schuldiger gesucht und mit Doll auch gefunden. Die schlechteste Bundesliga-Platzierung in den vergangenen 20 Jahren hat alleine der Trainer zu verantworten. Vielleicht nicht so ganz, immerhin kündigt Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke an, auf den Transfermarkt einen zweistelligen Betrag ausgeben zu wollen. Die einst so hochgelobte Truppe hat wohl doch nicht das erhoffte Potenzial, das angeblich nur zu selten abgerufen wurde. Kleiner Trost: Für die neue Saison kann die Führungsetage locker eine Zielsetzung ausgeben, sei es nur, um eine Verbesserung zu propagieren. Denn schlechter als in der abgelaufenen Spielzeit können sich die Dortmunder kaum präsentieren. Randolf Kaminski