Dieser wurde beim Training am Dienstagvormittag für Jedermann offensichtlich. Die Sonne schien warm vom Himmel, doch der Profi von Borussia Dortmund, seit dem Sommer erst in Deutschland, hatte ihr nicht getraut, hatte Handschuhe angezogen. Schon nach wenigen Laufmetern entfernte der 22-Jährige die Textilien wieder. Ein Fauxpas, der in der noch jungen Liaison zwischen dem BVB und dem Spieler schon zu den größeren Fehlleistungen auf dem Rasen Platz gehört. "Raphael", lobt Trainer Thomas Tuchel und versieht jedes Attribut mit einer eigenen Steigerung, "ist ein sehr besonderer Spieler. Ein sehr bescheidener und sehr fröhlicher Mensch mit einem besonderen Strahlen in den Augen."
Dieses Strahlen, das Lockere und Leichte, ist nun - so hoffen sie bei Schwarz-Gelb - zurück auf dem Platz. Vor dem wichtigen Champions-League-Spiel gegen Sporting Lissabon am Mittwoch, in dem die Borussia mit einem Sieg den Einzug ins Achtelfinale der europäischen Millionenfabrik perfekt machen kann, bildet Guerreiro nach drei Wochen Verletzungspause wieder eine Option für das Dortmunder Spiel. Rechtzeitig zum Duell mit der Mannschaft aus seinem Heimatland, dem Guerreiro im Sommer verhalf, Europameister zu werden. Dabei ist der Begriff Heimat bei ihm nicht so eindeutig zu definieren.
Geboren und aufgewachsen ist der Portugiese in Le Blanc-Mesnil nahe Paris. Ein Ort, der Ende 2005 größere Bekanntheit erreichte, als die vielen, die sich dort von der Gesellschaft benachteiligt oder gar vergessen fühlten, auf die Straßen zogen. Unruhen, brennende Autos. Sein Vater schob Nachtschichten in einer Limonadenfabrik, damit das Geld reichte. Von ihm hat er die portugiesischen Wurzeln. Doch Raphael spielte und lebte stets in Frankreich. In die Fußball-Akademie des nationalen Verbandes in Clairefontaine zog er schon mit elf Jahren. Der größeren portugiesischen Öffentlichkeit war dieser junge Mann recht fremd, der da beim Turnier im Juni in ihrer Nationalmannschaft auftauchte, der französisch spricht. Doch Portugal öffnete mit dem märchenhaften Verlauf des Turniers seine Arme für Guerreiro. Er selbst sagt: "Ich bin französisch geprägt, aber ich fühle mich als Portugiese." Und: "Ich habe Portugal in meinem Herzen."
Es ist, wenn man den Ausführungen seines Trainers glaubt, ein großes, reines Herz. "Ich habe bei ihm immer das Gefühl, dass er jeden Tag genießt und ihn als Privileg auffasst", sagt Tuchel und adelt den Mann als denjenigen Spieler, der mit seinem Talent, seinem Frohsinn auf der einen und seiner Ernsthaftigkeit auf der anderen Seite "auf dem Weg zum Trainerliebling" sei. In Dortmund kam im Sommer Guerreiros zweites Kind zur Welt, seitdem hat der Kleine Sacha ein noch kleineres Schwesterchen namens Ana. Und Guerreiro ein komplett neues Leben: neuer Titel, neuer Verein, neues Umfeld. Alte Stärke.
Auf diese Weise hat er sich beim Vielseitigkeitsfetischisten Tuchel in kurzer Zeit zu einem Schlüsselspieler entwickelt. "Er macht seine Mitspieler besser, hat Lösungen auch unter Druck", sagt Tuchel. Damit gehört er ins Zentrum des Geschehens, dorthin, wo die Ideen entwickelt, die Chancen vorbereitet werden. Das fehlte dem BVB zuletzt. Aber vielleicht wird der der Mann, der keine Fehler macht, auch an anderer Stelle gebracht. Mit oder ohne Handschuhe.