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55 Stationen in 30 Ländern
Rudi Gutendorf wird 90 Jahre

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55 Stationen in 30 Ländern: Rudi Gutendorf wird 90 Jahre
Foto: Ralf Rottmann
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Rudi Gutendorf kommt in kurzer Hose die Terrassentreppe seines Hauses herunter. Die Augen glänzen, der Geist ist hellwach.

Nicht selbstverständlich bei einem 90-Jährigen. Für den gebürtigen Koblenzer ist das Alter eh kein Argument, nicht weiter am Ball zu bleiben. Auch wenn der Fußball-Weltenbummler im Guiness-Buch der Rekord steht: 55 Trainer-Stationen in 30 Ländern – das hat niemand geschafft bisher. „Ab und zu fahre ich nach Köln zur Bundesliga, dazu habe ich noch einige repräsentative Termine“, sagt der rastlose Gutendorf, „nur mein rechtes Knie schmerzt etwas. Habe ich mir neulich verdreht.“

Herr Gutendorf, am Dienstag werden Sie stolze 90 ... Rudi Gutendorf: ... ja, leider!

Würden Sie die Zeit gern zurückdrehen? Natürlich. Ich habe von Kindesbeinen an den Fußball geliebt. Und die Rastlosigkeit, in der Welt unterwegs zu sein.

Ihren größten Erfolg haben Sie aber ausgerechnet in Duisburg gefeiert. Das stimmt. Der MSV hatte 1963 eine Meidericher Straßenmannschaft, die Vizemeister in der ersten Bundesliga-Saison geworden ist. Mit Weltmeister Helmut Rahn von Rot-Weiss Essen, dem Boss. Mit ihm hatte ich auf der Trabrennbahn in Dinslaken ein Rennpferd, um das er sich täglich gekümmert hat. Mein Trick, um ihn etwas aus den Kneipen fernzuhalten. Meinen Trainervertrag habe ich mit dem Vorstand auf die Rückseite einer Speisekarte geschrieben. Hinterher wollte niemand etwas davon wissen, dass ich eine Vizemeisterprämie ausgehandelt hatte.

Rudi Gutendorf lebt vorwiegend in seinem Haus im Westerwald mit seiner australischen Frau Marika (54) und Sohn Fabian (26). Im Garten ist die australische Flagge gehisst. Dazu hat Gutendorf eine Zweitwohnung in Koblenz. Der 90. Geburtstag wird im Stadion Oberwerth gefeiert. Mit einem großen Empfang und einem Testspiel zwischen TuS Koblenz und Fortuna Köln. Gutendorf spielte zehn Jahre als Rechtsaußen beim Koblenzer Vorgängerverein TuS Neuendorf.

Haben Sie das Geld denn bekommen? Mit Hängen und Würgen. Der MSV hatte kein Geld und wollte auch die 30.000 Mark nicht zahlen. Damals gab es keine großen Sponsoren oder Fernsehgelder. Es gab nur Zuschauereinnahmen.

Mit ihrem Taktik-Riegel waren Sie ein Trendsetter. Wir haben mit Angreifern verteidigt und mit Außenverteidigern gestürmt. Den anderen ist dazu nicht viel eingefallen. Und: Wir waren die fitteste Mannschaft, weil viel Laufspiel gefordert war. Die Saison mit dem MSV war einfach ein Wunder.

Auf Schalke haben Sie 1968 zum Einstand mal Reinhard Libuda und Kollegen morgens um 5.30 Uhr an den Zechen Gelsenkirchens vorbeilaufen lassen. Wir wollten ein Zeichen setzen, die Kumpel davon überzeugen, dass ihre Schalker Jungs alles geben. Schalke war großartig. Ich habe das Team auf dem letzten Tabellenplatz übernommen, dann in den Europapokal bis ins Halbfinale gegen Manchester City geführt. Wie schwer war es, mit einem Präsidenten wie Günter Siebert auszukommen, der sich in sportliche Belange einmischte? Ach, so schwer war es gar nicht. Oscar war nur eifersüchtig, dass ich andauernd in den Zeitungen stand, er nur einmal im Monat. Das hat für Spannungen gesorgt.

Und Sie mussten nach zwei Saisons gehen. Ich bin ja selten länger als zwei Jahren irgendwo geblieben, wollte immer weiter, immer etwas Neues machen.

Ihre Zeit beim HSV 1977 war weit weniger erfolgreich als jene auf Schalke? Es war sogar mein größter Fehler der Karriere. Ich war ein blöder Hund, habe ignoriert, dass der damalige HSV-Manager Dr. Peter Krohn ein Verrückter war. Dazu hat mich die Mannschaft sabotiert. Ich habe Kevin Keegan aus Liverpool geholt, an dem der HSV später eine Menge Spaß hatte. Doch Kaltz, Nogly, Magath hatten grad den Europacup gewonnen, wollten Keegan nicht, wollten mich nicht. Ich habe schon nach wenigen Tagen gemerkt, dass ich unfair behandelt, ja, beschissen werde.

Geschadet hat Ihnen das letztlich nicht. Es geht ja immer weiter. So ist der Fußball. Auch wenn er heute immer verrückter wird. Alles wird schneller, brutaler, athletischer und auch herzloser. Die Summen im Umlauf sind nur noch crazy. Ich habe damals als Trainer in Duisburg 1200 Mark als Junggeselle nach Hause gebracht. Aber wer soll den Wahnsinn heute aufhalten?

Apropos Wahnsinn: Sie waren auf allen fünf Kontinenten als Trainer tätig. Wo war es wirklich gefährlich? In der Endphase in Chile. Ich war 1973 ein Sympathisant des sozialistischen Staatspräsidenten Salvador Allende, habe mit ihm in Vina del Mar im Vier-Augen-Gespräch Whiskey getrunken. Als das Militär unter General Augusto Pinochet die Revolution ausrief, musste ich fliehen. Die deutsche Botschaft hat mich rausgeholt. Selbst das Leben eines Nationaltrainers, der mit seiner Mannschaft kurz vor der Qualifikation für die WM 1974 steht, ist in einer solchen Situation nicht viel wert. Im Nationalstadion, wo ich gearbeitet und mein Trainerzimmer bezogen hatte, wurden nun Leute erschossen.

Gutendorfs Stationen

Bundesliga

Meidericher SV, VfB Stuttgart, FC Schalke 04, Kickers Offenbach, Tennis Borussia Berlin, Hamburger SV

2. Bundesliga

1860 München, Fortuna Köln, Hertha BSC

Oberliga West

TSV Marl-Hüls, TuS Koblenz

Europa

Blue Stars Zürich, FC Luzern (beide Schweiz), Real Valladolid (Spanien)

Amerika

Bermudas, St. Louis Stars (USA), Sporting Cristal (Peru), Chile, FC Bolivar (Bolivien), Venezuela, Trinidad & Tobago, Grenada, Antigua

Afrika

US Monastir (Tunesien), Botswana, Tansania, Sao Thomé & Principe, Ghana, Simbabwe, Mauritius, Ruanda

Asien

Philippinen, Nepal, FC Yomiuri (Japan), China, Iran

Ozeanien

Australien, Neukaledonien, Fidschi, Tonga, Samoa

Noch eine Wahnsinnsgeschichte: Sie haben in Peru 1972 eine Zeit im Urwald gelebt. Da bin ich dem leibhaftigen Wahnsinn begegnet. Filmemacher Werner Herzog hat damals am Amazonas "Aguirre, der Zorn Gottes“ gedreht. Ich lernte Herzog über die deutsche Botschaft kennen. Er wollte bei mir, bei Erstligist Sporting Cristal in Lima ein wenig mittrainieren. Im Gegenzug habe ich gesagt, nach der Saison gucke ich mir die Filmarbeiten im Urwald an.

War's ein Erlebnis? Ja, Klaus Kinski war der Hauptdarsteller. Der war privat noch bekloppter als in seinen Filmen, hat mal mit einer Axt eine Latrine zerlegt. Als es einmal wirklich gefährlich wurde, hat Werner Herzog sein Gewehr geholt und Kinski mit einer Kugel gedroht. Waren schon verrückte Zeiten.

Ist man selber auch verrückt, wenn man die traumhafte Karibik-Insel Grenada gegen ein Engagement bei Tennis Borussia Berlin tauscht? Nein, fußballerisch bietet die Karibik keine große Spannung. Da wird man braun und geht viel schwimmen. Tennis Borussia war 1976 in die Bundesliga aufgestiegen, für mich eine neue Herausforderung. Neulich habe ich Franz Beckenbauer getroffen.

Konnte er sich an TeBe erinnern? Natürlich. Franz erzählt mir heute noch, wie peinlich es für die Bayern damals war, bei uns mit 1:3 verloren zu haben. Mit Ditmar Jakobs aus Oberhausen hatten wir einen Super-Verteidiger hinten drin. Leider war unsere Bank zu schwach, sonst hätten wir den Klassenerhalt geschafft.

Hat es Sie berührt, dass die Fidschi Inseln beim olympischen Fußballturnier in Rio dabei gewesen sind? Ja, das war ein ganz großer Erfolg. Ich habe 1981 und 1987 bei meinen Engagements die Grundlagen gelegt als Trainer. Viele junge Leute waren perspektivlos und dem Rauschgift verfallen. Es war nicht leicht, auf Fidschi Talente für den Fußball zu begeistern. Und ganz ehrlich: Im Rugby sind sie klar besser.

Sind Sie eigentlich mit Dolmetscher gereist? Nein, ich konnte meist die Landessprache. Englisch, Französisch, auch Spanisch. Ich habe mir viel selber beigebracht. In Tansania habe ich Suaheli gesprochen. 200 Wörter habe ich drauf. Das macht in Afrika Eindruck.

Ist mit 90 Jahren nach 55 Stationen in 30 Ländern wirklich Schluss für Rudi Gutendorf? Nein, ich bin immer bereit. Und dem Herrgott dafür dankbar, dass ich gesund bin. Mein großer Wunsch ist es, als Mentor, als Berater mit Kompetenzen noch einmal einzusteigen. Fast wäre ich beim VfB Stuttgart gelandet.

Woran ist es gescheitert? Präsident Bernd Wahler hätte mich geholt, Robin Dutt (damals Manager, d. Red.) wollte mich aber nicht. Dabei hat er von Defensive keine Ahnung. Ich hätte denen meinen Riegel ausgepackt, dann wären sie in der Bundesliga geblieben.

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