Danach wurde Koch sieben Mal operiert - allein in den ersten vier Wochen. Zeit? „Zeit ist kein Faktor mehr für mich.“ Julian Koch klingt nicht resigniert bei diesem Satz. Im Gegenteil. Er klingt wie jemand, der Gelassenheit gelernt hat. Und wie jemand, der sich seine Zuversicht behalten hat.
Gerade ist der Profi von Borussia Dortmund zurück vom Training. Früher wäre das, was er da gerade gemacht hat, weniger als ein zu kurzes Aufwärmprogramm gewesen. Die lange Seite des Fußball-Platzes laufen, die kurze Seite gehen. Drei Runden lang. Das Ganze drei Mal. Früher wäre es ganz normal gewesen, dass er dabei keine Schmerzen hat. Aber auch das ist in diesen Dezember-Tagen anders. „Heute ist der erste Tag, an dem ich schmerzfrei laufen konnte“, sprudelt es aus ihm heraus. „Es läuft super. Das gibt mir neuen Mut, gut ins neue Jahr zu starten.“
Erst eine rasante Entwicklung - dann das abrupte Ende
Das neue Jahr, es steckt voller Hoffnungen, voller Ziele. Es soll besser werden als das alte Jahr, das so gut begonnen hatte. Julian Koch war damals ausgeliehen zum Zweitligisten MSV Duisburg und so etwas wie schlechte Nachrichten kannte er fast gar nicht mehr. In den wenigen Monaten beim MSV war er nicht nur stellvertretender Kapitän der Mannschaft, sondern vor allem der überragende Spieler der zweiten Liga geworden. Selbst in Dortmund, seinem Heimatverein, staunten sie über die Rasanz dieser Entwicklung. Sie endete abrupt am 25. Februar in Oberhausen.
Nach einem Zweikampf blieb Koch auf dem Boden liegen, man trug ihn vom Platz, man brachte ihn in ein Krankenhaus, er bekam eine Schiene um sein Knie und einen Termin zur genaueren Untersuchung am darauf folgenden Nachmittag. Aber die Schmerzen rissen ihn zu Hause schon gegen sechs Uhr in der Früh aus dem Schlaf. Als er die Schiene entfernt, sieht er das dick angeschwollene Knie. Der Entscheidung sofort ins Krankenhaus zu fahren, verdankt er, dass er wieder Fußball spielen können wird.
Viel wurde im Krankenhaus nicht geredet. Julian Koch war ein medizinischer Notfall. Die Diagnose lautete: Kompartment-Syndrom. Die Einblutung an der verletzten Stelle schnürte Nerven und Blutgefäße ab, eine Unterversorgung entsteht, die, wird sie nicht behoben, zum Absterben der betroffenen Gliedmaße führen kann. Julian Koch verstand in dem Moment rein gar nichts. „Es ging alles viel zu schnell, als dass ich mir hätte Sorgen machen könne“, sagt er, „erst hinterher habe ich so richtig begriffen, was das eigentlich bedeutete.“
Es bedeutete, dass er sein Bein hätte verlieren können.
Sieben Mal wurde Julian Koch in den ersten vier Wochen operiert, während dieser Zeit musste er auf dem Rücken im Bett liegen, durfte das Bein nicht bewegen. „Diese ersten vier Wochen waren die schlimmsten“, sagt er. Als sie vorbei sind, darf er mit dem Rollstuhl vor die Tür. „Das erste Mal frische Luft schnappen – das war das erste schöne Gefühl.“ Zwei weitere Eingriffe folgten allerdings noch, der letzte im Juli, als endlich das behandelt werden konnte, was ursprünglich zu behandeln gewesen wäre: ein Kreuzband- und ein Außenbandriss im Knie. Wieder auf Krücken laufen, wieder auf Hilfe angewiesen sein, wieder zu Hause gepflegt werden von der Freundin, die darin zumindest Routine hat: Sie ist Krankenschwester.
Drei Mal eine Minute laufen
Richtig gern mag sich der 21-Jährige gar nicht mehr an all das erinnern, höchstens an die schönen Ereignisse, die sich nun wieder mehren. „Jede neue Kraft-Übung war für mich wieder ein Schritt nach vorn“, sagt er. Ein Schritt, der flüstert: Du bist auf dem richtigen Weg. Vor wenigen Wochen durfte er erstmals wieder laufen: drei Mal eine Minute. Echten Rasen unter den Füßen zu spüren, wieder näher bei der Mannschaft zu sein - pures Glück, pure Erleichterung. Julian Koch strahlte an diesem Tag so beharrlich als hätte man ihm die Mundwinkel an die Schläfen getackert.
Wenn er jetzt in den Tagen von Weihnachten und Jahreswechsel an 2011 denkt, dann sagt er: „Wenn ich eines gelernt habe, dann geduldig zu sein.“ Geduldig und dankbar für die kleinen Fortschritte. In acht Wochen wäre er gern wieder im Mannschaftstraining dabei. Muss aber auch nicht. Mal sehen. Nur eine Sache war ihm wichtig, nämlich im Januar mit ins Trainingslager nach Spanien zu reisen, nah bei den Kollegen zu sein, mit ihnen zu lachen. Und natürlich mit ihnen Wettkämpfe auf der Spielkonsole auszufechten. Könnte nämlich sein, dass da jemand an der mannschaftsinternen Hierarchie rüttelt. „Ich habe schon ein bisschen geübt“, lacht er. Denn wenn Julian Koch eines zuletzt im Überfluss hatte, dann war es: Zeit.