Ihm fehlten die richtigen Worte, doch niemanden störte es. Schalke 04 feierte - völlig außer Rand und Band. "Dies ist ein historischer Moment für uns alle", sagte Raúl eine Stunde später, als sich nach dem 2:1 (1:0) gegen Inter Mailand der Jubelsturm etwas gelegt hatte, "darum bin ich nach Schalke gekommen, um so etwas zu erleben." Ausgerechnet mit den Königsblauen steht der Königliche erstmals seit acht Jahren wieder im Halbfinale der Champions League, der Liga, die er wie kein Zweiter geprägt hat. Er freute sich wie ein kleines Kind und dachte schon an die ultimative Belohnung am Ende der Saison: "Ich träume vom Finale gegen Real Madrid."
Zum größten internationalen Erfolg der Gelsenkirchener hatte die Real-Legende wesentlich beigetragen. Mit seinem 73. Europapokaltor kurz vor der Pause (45.) hatte der 33-Jährige die letzten Inter-Hoffnungen auf ein Wunder nach der Schalker 5:2-Gala in San Siro zerstört, mit seinem genialen Zuspiel auf Benedikt Höwedes (81.) den zweiten Sieg gegen den Titelverteidiger in gut einer Woche perfekt gemacht.
"Mein Tor hat Inter die Hoffnung genommen", sagte Raúl und schickte dem scheinbar übermächtigen Halbfinalgegner Manchester United gleich einen schönen Gruß: "Jeder hat geglaubt, Schalke wäre ein leichter Gegner. Wir haben gezeigt, dass es nicht so ist."
Die erneute Weltklasseleistung des Stürmerstars, der auf dem Feld von niemandem zu bremsen war, überraschte selbst einen langjährigen Weggefährten. "Ich wusste, dass er sich vom ersten Tag an reinhängen und alles für den Verein geben würde", sagte Christoph Metzelder, der Raúl mit aus Madrid in die Bundesliga gelotst hatte, "aber dass es so ist am Ende der Saison, hat mich auch erstaunt."
Dem Rekordtorschützen im Europapokal, der mit Real dreimal die Champions League gewann, folgt die zusammengewürfelte und unter dem neuen Trainer Ralf Rangnick in Rekordzeit zusammengewachsene Schalker Mannschaft bedingungslos. "Er gehört zu einer Generation von Fußballern, die langsam ausstirbt", lobte Metzelder, "er hat null Starallüren, geht auf jeden zu."
Mit der Verpflichtung des Weltstars, die anfangs belächelt wurde, hat Ex-Trainer Felix Magath Schalke wohl den größten Dienst erwiesen. Ohne den Torjäger, der in dieser Saison bereits 18-mal für die Königsblauen traf, wäre die grandiose Reise durch Europa nicht möglich gewesen. "Er sieht sich in jeder Phase des Spiels als Teil der Mannschaft", lobte Magaths Nachfolger Rangnick den 33-Jährigen, "und er spielt auch so."
Im zweiten Duell mit dem entthronten Triple-Gewinner Inter war Raúl zwar der Mann für die Offensive. Doch die Schalker glänzten im Gegensatz zum Hinspiel auch in der Defensive. An der Seite des Rückkehrers Metzelder, der nach seinem Nasenbeinbruch mit einer Maske spielte, bot Torschütze Höwedes eine nationalmannschaftsreife Leistung. "Ich weiß nicht, ob Jogi Löw im Stadion war", sagte Metzelder, "aber vielleicht wird Benni ja beim nächsten Mal berufen."
Beim vierten Sieg im vierten Spiel unter Rangnick bewiesen die Königsblauen, dass sie unter dem neuen Trainer nicht nur Angriffsfußball, sondern auch solide Abwehrarbeit liefern können. Beste Voraussetzungen für die Duelle am 26. April und 4. Mai gegen Englands Tabellenführer ManUnited. "Wenn alles zusammenpasst, haben wir die Möglichkeit, vielleicht sogar ins Finale einzuziehen", sagte Rangnick.
Schon jetzt weckt Schalkes Reise durch Europa bei den Fans Erinnerungen an den UEFA-Cup-Triumph 1997, immer häufiger und inbrünstiger singen sie ihr legendäres Lied "Wir schlugen Roda..." Diesmal jedoch hat der Traditionsklub, der mit dem Magath-Rauswurf alte Klischees bediente, nicht nur Renommee gesammelt, sondern auch viel Geld.
Mehr als 50 Millionen Euro hat Schalke bereits eingespielt. "Wir werden etwas in die Tilgung der Verbindlichkeiten tun", kündigte Aufsichtratschef Clemens Tönnies an, "aber auch etwas in die Mannschaft stecken. Wir werden nicht zum Sparverein." Schließlich soll Raúl noch länger Freude an Schalke haben - und umgekehrt.