Bevor sich der S04-Fan aus dem ostwestfälischen Brakelsiep mit Vertretern der lokalen Politik und des Sports über die Arbeit der königsblauen Sozialarbeiter austauscht, werden die Gäste der Veranstaltung aber erst einmal auf ihren untadeligen Leumund und das eventuell Mitführen von Kofferbomben gefilzt - besonders, wenn sie von der Presse sind.
Das Abtasten dauert fast eine Viertelstunde, schließlich müssen auch alle Taschen, die mit den schön vielen Seitenfächern, kontrolliert werden. Alles paletti, winken uns die eifrigen Wachhabenden, vermutlich sind sie vom BKA, durch. Auf die Idee, auch mal unsere Jacken zu checken, kommen sie nicht. Hätten wir jetzt eine Handgranate im Brillenetui, sie wäre problemlos mitgekommen. Aber lassen wir das...
Das „VIP-Bändchen“ , auf dem „Sozialdemokratische Partie Deutschlands“ steht, ist dennoch grün, nicht rot! Nicht nur die Kollegen Christian Pozo und Elmar Redemann und ich haben eins am Ärmel baumeln, sondern auch unsere Web-TV- und Fotokamera werden mit dem Flatterband aus Papier geschmückt.
Um 18.21 Uhr ist es so weit: Vor dem Parkplatz am Consol fährt eine Motorradeskorte der Polizei vor. Dahinter gehen zwei gepanzerte Dienstlimousinen, so wie sie gerne mal in Spanien geklaut werden, in die Eisen. „Hallo Frank, hallo Frank“, begrüßt Gelsenkirchens OB Baranowski seinen Namensvettern Steinmeier herzlich. In den nächsten 90 Minuten wird sich viel geduzt, alte Tradition unter Genossen, auch wenn wir sie nicht wählen. In der Kellerbar, eine stilechte Räumlichkeit mit eben nicht fein verputzten Wänden, haben sich zu diesem Zeitpunkt die etwa 80 Gäste des Abends zwanglos an Tischen gruppiert. Den repräsentativen Schnitt der Schalker Fanszene bilden ein paar Ultras sowie Vertreter vom Schalker Fan-Club Verband und der Schalker Fan-Initiative.
Direkt vor uns sitzt mit leuchtenden Augen ein älteres Ehepaar, Stammwählerschaft. Gelsenkirchens erster SPDler „Bara“ findet zur Einstimmung die richtigen Worte. Es ist nicht schwer, an diesem Abend das Eis zu brechen, schließlich sind die Schalker unter sich. „Wenn man wie Du aus Ostwestfalen kommt, wird man relativ früh vor eine Wahl gestellt: Schalke oder Dortmund: Du hast Dich zum Glück richtig entschieden, das zeigt Charakterstärke“, breitet der OB dem Kanzlerkandidaten verbal den roten Teppich aus.
Dass Steinmeier ein königsblaues Herz hat, ist zwar nicht erst seit den Tagen des heißen Wahlkampfs bekannt. Sein Besuch an der Schalker Basis fällt natürlich dennoch nicht ganz zufällig in diese Woche, an deren Ende die Kommunalwahl in Gelsenkirchen stattfindet und Baranowski die bisher ganz solide Mehrheit erhalten soll. Am Samstag zuvor war Steinmeier in Dortmund, nicht wegen Fußball und um gegen die Schwarz-Gelben zu hetzen, sondern auf einer ganz normalen Wahlkampfveranstaltung.
Der Kandidat fühlt sich unter Blau-Weißen dennoch heimischer, besonders wenn sie sich in der Gesellschaft sozial engagieren. „Rassistische Äußerungen vor und in dem Stadion sind bestenfalls dumm und haben hier keinen Platz. Das Schalker Fanprojekt macht deutlich, worauf es im Stadion und außerhalb ankommt“, betont Baranowski.
Dr. Günther Pruin ist nicht nur der Geschäftsführer des städtischen Sportbundes (Gelsensport), sondern outet sich auch als „Alt-68er“. Keine Frage, dass ihm die Streetworker des Fanprojekts am Herzen liegen. „Das hier ist für den Bundesaußenminister ein Crash-Kurs in Sachen Schalker Fanarbeit“, meint Pruin und spricht dem anfangs sichtlich nervösen Patrick Arnold, Leiter des Schalker Fanprojekts und Gastgeber an diesem Dienstag, aus der Seele.
„Die Jugendlichen mit 'Gewalt ist scheiße' anzusprechen funktioniert auch in Gelsenkirchen nicht. Wenn man keine Angebote macht, die von den Kids angenommen werden und mit denen man Vertrauen aufbaut, kann man nichts erreichen“, erklärt er Steinmeier knapp den Ansatz seiner Arbeit. „Davon haben wir, denke ich, eine Menge. Angefangen von den U16-Fahrten für Jugendliche und gemeinsamen Unternehmungen auch mit Fanprojekten anderer Vereine.“
Steinmeier selbst ist in diesem Umfeld nicht untätig. „In Brandenburg arbeite ich mit Lehrern im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus. Außerdem unterstütze ich ein Projekt mit Künstlern wie Boss Hoss und Smudo, mit denen wir eine Rock-CD aufgenommen haben und am 3. September in der Alten Försterei in Berlin ein Konzert geben werden“, punktet der Politprofi im Plenum.
Nach 45 Minuten ist die Diskussion, bei der noch Stefan Glieger von den „Ultras“, Schalkes Sicherheitsbeauftragter Volker Fürderer, die Fan-Ini-Vorsitzende Dr. Susanne Franke sowie Frank Arndt vom SFCV kurz ihr Statement abgeben dürfen, beendet. Es gibt erst Currywurst und dann einen Besuch der Skateranlage vor dem Container des Schalker Fanprojekts.
Die vorbeigehenden und –joggenden Passanten staunen, was der Steinmeier denn hier macht, doch die Kids auf der Rampe sind ganz cool. Einige kennen den Mann mit dem akkuraten weißen Seitenscheitel sogar, „das ist der Außenminister“, sagt einer.
Als ihm sein Kumpel mit „Boah, Kevin, Du Schleimer“, in die Parade fährt, ist die Welt in Gelsenkirchen wieder normal. Steinmeier hat Spaß, die Schüler muss er nicht von sich überzeugen, sie dürfen schließlich noch nicht wählen.
Um 19.52 Uhr verabschiedet er sich von Baranowski, Poß und den anderen Genossen - nicht ohne vorher zwei seiner größten Wünsche in die Kameras gesprochen zu haben. Bei der Frage, was er wahrscheinlicher fände, mit der SPD die Bundestagswahl zu gewinnen und somit neuer Kanzler zu werden oder dass Schalke die Meisterschaft holt, vergisst Steinmeier jegliches Understatement: „Man kann sich auch zwei große Ziele setzen - und erreichen!“