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Fan: RWE bietet spezielle Plätze für Sehbehinderte an
Wie man blind mitfiebert

Fan: RWE bietet spezielle Plätze für Sehbehinderte an
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Rot-Weiss Essen bietet gemeinsam mit dem AWO-Fan-Projekt als erster Regionalligist sehbehinderten Anhängern die hautnahe Teilnahme am Fußball-Geschehen.

Dank der Unterstützung zahlreicher Fans, die im Sommer 2008 im Rahmen der Spendenaktion "Zu 1907 Prozent für RWE" Geld sammelten, sowie der RWE Rhein-Ruhr AG als sozial engagiertem Hauptsponsor der RWE-Jugend ist die Aktion ein voller Erfolg.

Der Gedanke kam zum ersten Mal auf, als es um eine Initiative des Fanclubs "Borbecker Halblang" für die Zielgruppe "ältere Menschen" ging. Man dachte über den Tellerrand, stellte sich die Frage, wo man noch was tun kann. Claudia Wilhelm vom AWO-Fan-Projekt: "Mit dem Ertrag der Spendenaktion sollte eigentlich ein Spieler finanziert werden, später wurde dann im Internet über die Verwendung abgestimmt."

Der Klub stellt zehn Tribünenplätze bereit. Der sinnliche Zugang zum Geschehen erfolgt über den Live-Kommentar der erfahrenen 102.2-Radio-Essen-Sportreporter Uwe Loch und Stephan Knipp. Über Kopfhörer wird jede Aktion auf dem Rasen beschrieben, das Randgeschehen im Georg Melches-Stadion auch. "Die Blinden merken erstaunlicherweise, dass wir manchmal mit unserer Berichterstattung Sekunden hinter der Ballsituation waren. Das war ungemein hilfreich", erzählt Loch vom ersten Austausch mit den Betroffenen. "Das vorbereitende zweitägige Seminar in der Sportschule Kaiserau war lang nicht so förderlich wie die ersten 90 Minuten beim Probelauf gegen Kaiserslautern. Schließlich ist der Hörerwunsch das Maß aller Dinge", betont der Mikromann.

Durch die Reportage der Radio-Essen-Kommentatoren wird auch für Sehbehinderte das RWE-Spiel sichtbar (Foto: mmb).

Bei der Umsetzung des Projekts stand RWE der "Fanclub Sehhunde”, Fußball-Fanclub für Blinde und Sehbehinderte e.V., mit Rat und Tat zur Seite. Die Vorstandsmitglieder Nina Schweppe und Regina Hillmann - beide blind bzw. sehbehindert - waren beim Probelauf gegen den 1.FC Kaiserslautern dabei. Beim Einsatz der durchaus sensiblen und teuren Technik ist jede Anmerkung wichtig. Sender, Empfänger, Kopfhörer kosten 6000 Euro. "Die Anlage haben uns die Sehhunde vorgeschlagen, wir stehen im ständigen Austausch", nickt Wilhelm. Schweppe und Hillmann machten deutlich, was für die nicht sehenden wichtig ist: Der reine Spielbericht - ob es regnet oder schneit, ist keine echte Info. Wilhelm: "Es war wichtig, dass die Sehhunde dabei waren, ihre Kritik bringt uns weiter." Die Blinden-Plätze müssen natürlich eine sehr gute Qualität haben, auch aus frequenztechnischen Gründen.

Seit 1991 organisieren sich blinde und sehbehinderte Fußballfans aller Vereine von Bundesliga bis Kreisklasse. Der in Essen wurde am 4. Februar 2007 ins Leben gerufen. Zweck ist es, Blinde und Sehbehinderte in die Gesellschaft im Allgemeinen und in die Gemeinschaft der Fußballfans im Besonderen zu integrieren. Langfristiges Ziel ist es, dass im Profifußball flächendeckend Sitzplätze für nicht sehende Fans freigehalten werden.

Foto: firo.

Die Arbeit der "Sehhunde" wird gewürdigt. Am 23. Oktober 2007 wurde der e.V. im Rahmen des Ehrenpreises des CNN Journalist Award mit einem Geldpreis bedacht. Bereits am 4. Oktober 2006 verlieh Bundespräsident Horst Köhler persönlich das Bundesverdienstkreuz am Bande. Auch Bayer Leverkusens ehemaliger Manager Reiner Calmund, Ex-Nationalspieler Jens Nowotny und FC Kölns Coach Christoph Daum begleiteten die Sehhunde-Initative auf dem bisherigen Weg.

Im August 2007 traf man sich mit DFL-Boss Holger Hieronymus. In den Gesprächen mit dem Spitzenvertreter der Bundesliga wurde deutlich, wie bedeutsam es ist, einen gut geschulten Behinderten-Fanbeauftragten zu haben, der die Belange aller Besucher mit Handicaps berücksichtigt. Wilhelm: "Die blinden Fans wollen ganz normal behandelt werden, vor allen Dingen wollen sie nicht stören."

Die Sozialarbeiterin bringt dem Projekt eine sehr persönliche Motivation entgegen. Ihr Sohn Jan-Patrick (15) erblindete kürzlich in Nachwirkung einer Kinderkrankheit nahezu komplett, nur auf dem linken Auge hat der RWE-Anhänger eine schwache Reststärke. "Das Projekt ist sehr gut, es war für mich auch eine tolle Erfahrung. Normalerweise ist sonst immer mein Vater Stephan im Stadion dabei", betont Jan-Patrick, der, wie Freundin Tamara, mittlerweile ein spezielles Internat in Soest besucht.

Wie viele beeinträchtige Personen das Angebot annehmen werden, wird sich erst in nächster Zeit zeigen. "Mal abwarten, ob sich viele outen", fordert Wilhelm, eventuell vorhandene Scheu vor der Inanspruchnahme dieses neuen RWE-Services zu überwinden.

Info Jeder Gast-Verein kann zwei Plätze an blinde "Supporter" vergeben. Ein Platz kostet zehn Euro, auch für eine Begleitperson.

Nachgefragt

Stefan Knipp, ist das Sehhunde-Projekt auch für Sie als Radioreporter eine Herausforderung?

Es ist schwieriger, als ich es mir zu Beginn vorgestellt hatte. Ich kann nicht irgendwelche kleinen Geschichten am Rande erzählen, weil die beiden Teams unten auf dem Rasen sich gerade den Ball nur hin und her schieben. Im Gegenteil, gerade auch solche belanglosen Passagen muss ich kommentieren. Ich stelle mir das immer so vor, dass ich mir ein Fußballspiel im Fernsehen anschaue und plötzlich wird zwei Minuten lang die Tribüne gefilmt, weil die beiden Mannschaften in diesem Augenblick nichts Ansehnliches produzieren. Da würde jeder Zuschauer vor der eigenen Flimmerkiste rasend werden. Und so ist das eben auch bei den Blinden bzw. Sehbehinderten. Ich bin für sie, wenn man das so sagen darf, quasi das Auge. Sobald ich aufhöre, vom reinen Spielgeschehen zu berichten, nehme ich ihnen damit auch die Sicht.

Wie ist die Resonanz bei den angesprochenen RWE-Fans?

Obwohl mir das absolut bewusst ist, falle ich doch hin und wieder noch in den Trott, dass ich mich erwische, wie ich gerade von irgendeiner Statistik erzähle oder Ähnlichem. Aber das wird sich mit der Zeit legen. Das ist auch für uns noch ein Lernprozess. Das Schöne an der ganzen Sache ist, dass wir sofort nach dem Schlusspfiff ein persönliches Feedback von unseren Hörern kriegen und weiter an uns arbeiten können. Gleichzeitig geben wir auch Rückmeldung, was uns bislang noch Probleme bereitet. Und dieser gegenseitige Austausch ist total erfrischend und macht einfach richtig Spaß! Gerade weil es auch für uns ein total unbekanntes Terrain ist.

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