»Das Lied ist nicht einfach so daher gesungen. Der Oppa ist hier eine Identifikationsfigur, die die Treue und Verbundenheit der Fans symbolisiert«, erklärt Georg Schrepper, Autor der »Geschichte von RW Essen«. Ein Satz, wie er auch in Gelsenkirchen fallen könnte, bloß entschieden die Essener sich nach 1971 im Zorn, den alten Mann umzutaufen – aus Pritschikowski wurde Luscheskowski, entlang der Klingelschilder, auf denen im Ruhrgebiet viele masurische Namen prangen, die auf -ski enden.
Und doch bleibt es die gleiche mythologische Figur, die Hardy Hausberg 2007 in seinem Film »100 Jahre RW Essen« auf die Leinwand brachte. Zenop Tschakarjan spielte darin den Oppa Luscheskowski. 1954 studierte der gebürtige Bulgare in Wien Medizin. Als er und seine Kommilitonen sich das Endspiel der WM im Radio anhören wollten, gerieten sie an einen Gärtner, der als einziger einen Fernseher besaß. »Der hatte überhaupt keine Ahnung vom Fußball und tippte, dass die Deutschen gewinnen«, erinnert sich Tschakarjan. »Da haben wir nur gelacht, weil die Ungarn zwei Jahre ungeschlagen waren. Wir haben 3000 Schilling gegen ihn gewettet.« Wie wir wissen, gewann der Gärtner, weil in Bern der Essener Helmut Rahn aufdrehte. Seitdem bekam Tschakarjan Essen nicht mehr aus dem Kopf.
Ende der Sechziger zog er sogar dorthin, um eine Praxis zu eröffnen. Natürlich pilgerte er auch ins Stadion. Noch immer erzählt er mit leuchtenden Augen: »Hier gab es viele harte Zeiten. Doch egal, was kommt, die Leute gehen zum Fußball, es ist für sie eine Erleichterung. Genauso wie im alten Rom, dort hatten sie auch nicht viel, aber zu den Gladiatorenkämpfen sind sie gegangen.« Ein Stück Rom liegt also im Revier, zwischen Gelsenkirchen und Essen. Und wie in der antiken Metropole die Alten wegen ihrer Weisheit geachtet wurden, verehren die Schalker und Essener ihren Oppa.
Tscharkajan wird auf den Straßen von Essen noch immer als Oppa erkannt. Sein Pendant aus Gelsenkirchen lebt nicht mehr. Für das Plattencover von »Immer auf Schalke« hatten sich von der Forst, Beukenberg und Tadday 1969 einen Mann ausgeguckt, der zu dieser Zeit in der Glückauf-Kampfbahn Berühmtheit erlangt hatte: Paul Schwarz saß mit Bart und Mütze am Spielfeldrand, früher war er selbst unter Tage gefahren. Die drei Liedermacher besorgten sich aus einer nahegelegenen Kneipe eine Glocke, die Schalkefans in den dreißiger Jahren zu den Spielen mitgenommen hatten. So wurde Paul Schwarz zur Inkarnation des fiktiven Oppa Pritschikowski. 1983 starb er, die Legende aber behielt sein Gesicht.
Der dazugehörige Chant wurde zum Kulthit. Von der Forst, Beukenberg, Tadday und Journalist Szodruch sitzen in der ehemaligen Vereinskneipe nahe der Glückauf-Kampfbahn an dem Platz, wo Ernst Kuzorra bis zu seinem Tod 1990 seine Zigarren genoss. Jeder weiß eine Geschichte zu erzählen, wie das Lied ihn immer wieder eingeholt hat. Von der Forst wurde einmal berichtet, dass Bauarbeiter aus Bottrop es sangen, als sie in Neapel eine Brücke errichteten. Rudi Tadday alias Tex Rogers verschlug es in seiner Zeit in den USA einmal nach Hawaii, wo er bei einem Karaoke-Abend Oppa Pritschikowski intonierte. Er hielt inne, als er bemerkte, dass ein Amerikaner mitsang.
Der Streit zwischen Essenern und Schalkern mag weitergehen. Auch darum, wem die Hymne denn nun gehört. Doch das Lied vom Oppa, der seine Omma am goldenen Hochzeitstag versetzt, um zum Endspiel zu kommen, ist letztlich nur eines: eine Hommage an die Menschen im Ruhrgebiet. An die Essener. Und an die Schalker.