Tag eins nach dem historischen Halbfinal-Kantersieg gegen Brasilien: Dauerregen auf der Insel der (Fußball)-Seligen. Man sollte dringend die Bilder des grauen, trostlosen Wetters um die Welt schicken und damit einer Einwanderungswelle ungekannten Ausmaßes vorbeugen.
Ich komme aus einer Zeit, in der alle nationalen Äußerungen und Zurschaustellungen in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung verpönt waren. Fahnen, Gesänge, Nationalhymne – um Gotteswillen. Der Fußball änderte 2006 in dieser Hinsicht einiges. Das Sommermärchen kam so fröhlich, harmlos und weltoffen daher, da störten die Fahnen nicht. Dumpfer Chauvinismus hatte keine Chance. Acht Jahre später hat das Auftreten der deutschen Nationalmannschaft in Brasilien, vor allem die Art, wie sie mit diesem Triumph gegen den Gastgeber umgegangen ist, dazu geführt, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben sage: Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!
Am wenigsten hat es noch mit diesem irgendwie unwirklich anmutenden Ergebnis zu tun. 7:1 – eine zeitliche Torfolge wie in der Kreisliga B. Der Komplettzusammenbruch einer Heimmannschaft, die nie dazu in der Lage war, die Erwartungen von 200 Millionen Brasilianern zu erfüllen.
Rein sportlich gibt es Grund dafür, Stolz für diese deutsche Mannschaft zu empfinden. Dieser technisch feine, in Phasen fließend wirkende Kombinationsfußball. Dieses mätzchenlose, faire, auch in den Defensivaktionen stets anständige Spiel. Das hatte schon vor diesem Halbfinale seinen weltweiten Respekt gefunden. Auch wenn Symptome einer Rückkehr zum Rumpelfußball der Ära vor Löw nach dem Algerienspiel schon wieder für Skepsis gesorgt hatten.
Doch der eigentliche Anlass für totale Identifikation und eben Stolz ergab sich nach den 90 Minuten, als sich die brasilianischen Spieler und Verantwortlichen endlich in den Stadion-Katakomben vor ihren fassungslosen Landsleuten verstecken konnten. Während die Deutschen in der Art stiller Genießer dieses vorher reineweg unvorstellbare Ergebnis zu erklären versuchten. Da war nichts von Hochmut, Siegesbesoffenheit und tumbem Triumphgeheul. Da wurde auch an den Gegner gedacht und die schweren Stunden für ein gebeuteltes Land, in dem viele nicht mehr haben als den Fußball. Anders als wir auf unserer Insel der Seligen. Diese Demut im größten Sieg, das war beeindruckend, das war noch höher zu bewerten als die grandiose sportliche Leistung.
Wenn jetzt viel über Deutschland gesprochen wird auf der Welt, dann wird auch die Rede kommen auf Demokratie, Rechts- und Sozialstaatlichkeit, eine freie Presse. Verhältnisse, die längst nicht überall selbstverständlich sind. Unsere tollen Fußballer werben derzeit auf unnachahmliche Weise für diese Werte. Auch darauf können wir stolz sein. Weltmeister sind wir noch nicht. Gewonnen haben wir jetzt schon.