In der Premier League haben sie ihr Ziel bereits erreicht. Nun geht es für den FC Chelsea um noch höhere Weihen. Nach dem ersten Meistertitel seit 50 Jahren will Geschäftsführer Peter Kenyon in den "nächsten fünf Jahren die Welt blau anmalen" - doch schon geht beim FC Chelsea die Sorge vor einer schnellen Ernüchterung um. Ohne den Einzug ins Finale der Champions League wäre die Saison nur halb so gelungen, ahnt Mannschaftskapitän John Terry und erinnert sich: "Letztes Jahr sind wir im Halbfinale rausgeflogen, das war meine schlimmste Erfahrung. Das will ich nicht noch mal erleben."
Kaum englischer Meister, stehen die "Blues" drei Tage später schon wieder unter Druck: Eine Niederlage heute gegen den Liga-Rivalen FC Liverpool im Halbfinal-Rückspiel der europäischen "Königsklasse" (20.45 Uhr MESZ/live bei Premiere und SAT.1), und der nationale Titel würde seinen Glanz verlieren, behaupten selbst die gemäßigten Medien im Fußball-Mutterland. "Wenn Chelsea nicht ins Finale kommt, könnte nicht mal der erste Titel seit 50 Jahren diese Enttäuschung auffangen", schreibt der Guardian.
Der FC Liverpool dagegen hat in seiner an Enttäuschungen reichen Saison kaum noch etwas zu verlieren. In der Premier League liegt der Rekordmeister 33 Punkte hinter Chelsea, und das Finale des Ligapokals gewann auch schon der Emporkömmling aus London. Zu allem Überfluss verfehlen die "Reds" in der Liga womöglich Rang vier - das hieße, nach dem derzeitigem Reglement: Selbst bei einem Endspielsieg des FC Liverpool am 25. Mai in Istanbul würde die kommende Saison der Champions League ohne den Titelverteidiger stattfinden.
Die Gelegenheit, 20 Jahre nach der "Tragödie von Heysel" und der langjährigen Europapokal-Sperre Geschichte zu schreiben, wollen sie sich an der Mersey allerdings nicht nehmen lassen. "Dies könnte unsere einzige Chance sein, also müssen wir danach greifen", betont Mittelfeld-Motor Steven Gerrard. Ganz Liverpool denkt ähnlich. "Ich weiß, wie wichtig das Spiel für die Fans ist. Du siehst den Leuten in der Stadt an, dass ihnen die Situation, in der wir uns befinden, gefällt", sagt Teammanager Rafael Benitez.
Viermal haben Chelsea und Liverpool in dieser Saison bereits gegeneinander gespielt. Dreimal hat Liverpool kein Tor geschossen, und nur einmal, beim 0:0 im Hinspiel, nicht verloren. Jetzt setzen die "Reds" und ihre Anhänger auf die Magie ihres Stadions - auf den "Anfield-Faktor". "Das Dach wird wegfliegen. Chelsea wird gar nicht wissen, wie ihnen geschieht, das wird sie umhauen", tönt Antreiber Gerrard, der nach dem Ausfall von Xabi Alonso (Gelb-Sperre) diesmal Unterstützung vom wiedergenesenen Dietmar Hamann erhalten wird.
Ob die Atmosphäre von Anfield hilft, darf bezweifelt werden: Liverpool hat in dieser Saison schon 13 Spiele verloren, davon drei zu Hause. Egal, sagt Gerrard, dies ist Europa, nicht England: "Wir wissen: Unsere Fans sind etwas besonderes, besonders an Europapokalabenden." Auch die Spieler selbst würden deshalb anders reagieren", meint Stürmer Vladimir Smicer: "Wir hatten eine schlechte Saison. Aber wir haben das Licht an einer anderen Stelle gesehen, in der Champions League. Da spielen wir wie andere Menschen."
In der Tat: In der Champions League ist Liverpool in dieser Saison zu Hause ungeschlagen. Der FC Chelsea dagegen ging in seinen letzten drei europäischen Auswärtsspielen als Verlierer vom Platz. Für Kapitän Terry steht der Sieger der zweiten "Battle of Britain" dennoch schon fest: "Der Gewinn der Meisterschaft setzt uns unter Druck, er gibt uns aber auch Selbstvertrauen. Und wir werden unsere Chance nicht einfach wegwerfen." Im Vorjahr scheiterte Chelsea im Halbfinale am unterlegenen Finalisten AS Monaco.