Die Hände hatte Peter Bosz in den Hosentaschen vergraben. So stand er da kurz vor Schluss des Spiels am äußersten Rand jener Zone, in der sich Trainer aufhalten dürfen. Das sah aus, als wenn er helfen wollte bei etwas, das nicht mehr zu retten war. Auf dem Feld liefen seine müder werdenden Spieler einem Ergebnis nach, das keine Frage mehr am Sieger übrig ließ. 3:1, so stand es auf der Anzeigetafel im riesigen Wembley-Stadion von London, wo der englische Vize-Meister Tottenham Hotspur Borussia Dortmund zum ersten Champions-League-Spiel der Saison empfing. Zu Boszs erstem Spiel in der Königsklasse überhaupt. Nicht nur deshalb stand er schon vor dem Anpfiff im Zentrum der Betrachtungen.
Denn er überraschte mit Risiko in der Aufstellung. Vertrautes Personal beließ er auf der Bank und wirbelte seine Anfangsformation auf eine Weise durcheinander, wie es nicht für möglich gehalten worden war. Aufgrund gesundheitlicher Unpässlichkeiten von Marcel Schmelzer und Marc Bartra schickte er Jeremy Toljan und Ömer Toprak in die Viererkette. Dazu beorderte Mahmoud Dahoud (für Gonzalo Castro) und Shinji Kagawa (für Mario Götze) ins Mittelfeld und Neuzugang Andrey Yarmolenko in den Angriff. Die halbe Mannschaft - ausgetauscht.
Und in der höchst turbulenten Anfangsviertelstunde zunächst das nicht immer den allerbesten Einfluss auf das Geschehen bei Schwarz und Gelb zu haben. Denn es dauerte nicht einmal vier Minuten bis Tottenham in Führung ging. Gegen eine ungeordnete Dortmunder Deckung zog Heung-Min Son los, düpierte Sokratis mit einer Finte und traf aus sehr spitzem Winkel wuchtig über Torwart Roman Bürki hinweg. Damit setzte der Spurs-Angreifer eine hübsche Serie von Toren gegen den BVB fort, die er schon als Bundesliga-Profi von Bayer Leverkusen und des Hamburger SV begonnen hatte.
Der BVB musste diesen Wirkungstreffer ein paar Minuten lang abschütteln, ehe er begann konzentrierter nach vorn zu spielen. Und wie. Von Kagawa kam der Ball zurück zu Yarmolenko und aus 18 Metern zirkelte er ihn in den Winkel des Tores. Erstes Spiel von Beginn an, erster Treffer.
Doch die Freude darüber währte wiederum nur kurz. Erneut konterte Tottenham in die Unaufgeräumtheit des BVB hinein. Harry Kane, zweimaliger Torschützenkönig der Premier League, ließ Toprak stehen und schoss fulminant in die kurze Ecke (15.). Das eher seltsame Stellungsspiel Bürkis half ihm dabei ebenfalls wie die Tatsache, dass Schiedsrichter Gianluca Rocchi bei Kanes Zweikampf zuvor gegen Nuri Sahin nicht auf Foul entschied. Trainer Peter Bosz fühlte sich so benachteiligt, dass er mit wehendem Sakko zur Seitenlinie stürmte und protestierte. Vergebens.
Kane ist kaum zu bändigen
Aus dem Rückstand entwickelte sich ein Spiel, in dem der BVB mit Ballbesitz dominierte, in dem aber fortan nicht mehr jeder Schuss zum sehenswerten Treffer wurde. Immer wenn der BVB dem Tor nahe war, wie Pierre-Emerick Aubameyang (30.) oder Christian Pulisic (36.), klärte im letzten Augenblick einer der Herren in Weiß.
Die zweite Halbzeit begann mit derselben offensiven Wucht der Gastgeber wie die erste. Der kaum zu bändigende Kane kam frei vor Bürki zum Schuss, doch der Ball flog über das Tor (50.), der allein gelassene Son verzog ebenfalls frei vor dem Dortmunder Tor (51.). Was sich da schon anbahnte, wurde kurze Zeit später bittere Dortmunder Realität: Harry Kane gelangte im Strafraum an den Ball und traf aus 14 Metern dieses Mal in die lange Ecke (60.). Lukasz Piszczek hatte den Ball leicht abgefälscht, Bürki die Handschuhe nach leicht am Ball. Zur erstaunlich entblößten Abwehr gesellte sich also auch etwas Pech. Damit haderte Schwarz-Gelb ebenso wie mit dem Schiedsrichter. Der hatte zuvor einen Treffer Aubameyangs wegen einer - aus Dortmunder Sicht passiven - Abseitsstellung nicht anerkannt (56.).
So wirkte der BVB schließlich wie die weniger reife und weniger organisierte zweier guter Mannschaften. Und Bosz war geschlagen.